„Game Of Drones“: Das ist kein Kriegs-, sondern ein Mordprogramm

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Mit dem Drohnenkrieg ist gezieltes Töten zur Routine geworden.

Die letzten der tödlichen Waffen im Arsenal der USA sind unbemannte Luftfahrzeuge wie die MQ-1-Predator oder MQ-9-Reaper, allgemein als Drohnen bekannt, die aus sicherer Höhe Ziele ausspähen und Hellfire- oder neuerdings Scorpion-Raketen abfeuern können. Das sind sogenannte Small Smart Weapons von der Größe eines Geigenkastens und mit einem Gewicht von 16 Kilogramm. Weltweit wurden bisher mindestens sechzig Stützpunkte für Drohnen eingerichtet. Eine Reaper-Drohne kann knapp 2000 Kilometer weit fliegen und bei einer maximalen Last an Hellfire-Raketen oder GBU-12- und GBU-30-Bomben von 1700 Kilogramm an Bord zwischen 16 und 20 Stunden in der Luft bleiben. Ein Bericht des Budgetbüros des US-Kongresses erwähnte 2011, dass das Verteidigungsministerium im Laufe der kommenden Dekade etwa 730 neue mittelgroße unbemannte Flugzeuge, also Drohnen vom Typ Reaper, anschaffen wolle.

Zum ersten Mal kamen Drohnen im Jemen zum Einsatz. Mitte 2002 hatten Spezialisten des United States Joint Special Operations Command (JSOC) Abu Ali al-Harithi, einen der Drahtzieher des Anschlags auf die USS Cole, in der zentraljemenitischen Stadt Marib aufgespürt. Die CIA startete von Camp Lemonnier in Dschibuti eine MQ-1-Predator-Drohne, die eine panzerbrechende Hellfire-Rakete auf al-Harithis Toyota-Geländewagen feuerte. In dem Angriff starb auch der US-Bürger Ahmed Hijazi alias Kamal Derwish aus Buffalo, New York. Auf die Präsenz amerikanischer Soldaten im Jemen angesprochen, wiegelte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ab: „Wir haben ein paar Leute in dem Land … Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“

Am häufigsten jedoch kamen Drohnen zunächst in Pakistan zum Einsatz. Gesteuert wird das geheime Programm entweder aus Langley (von der CIA) oder aus Orten in Texas, Nevada und anderswo in den USA (vom JSOC). Vor Ort sucht die CIA gemeinsam mit ihren pakistanischen Verbündeten die Ziele aus, deren Koordinaten dann an die Steuerungszentrale in den USA gegeben werden. Die Drohnen werden auf ihrem Stützpunkt gestartet und anschließend aus den Zentralen in den USA ins Ziel gelenkt. Von Wikileaks im November 2010 veröffentlichte Kabel amerikanischer Diplomaten bewiesen schließlich, dass kleine Teams von US-Sonderkommandos im Geheimen in die pakistanische Armee integriert (embedded) sind und in den Stammesgebieten helfen, Taliban oder al-Qaida-Kämpfer aufzuspüren und Drohnenangriffe zu koordinieren.

Ob nun Special Forces oder der Geheimdienst, grundsätzlich werden keine Auskünfte über die Einsatzorte, die Kriterien der Zielauswahl, die Zahl der Opfer oder darüber gegeben, wer das Programm kontrolliert. Kritiker sagen, das Programm verstoße gegen die Executive Order 11905, die Präsident Gerald Ford 1976 unterzeichnet hatte, die es amerikanischen Spionageorganisationen ausdrücklich untersagt, „politische Morde“ zu verüben. Fords Nachfolger Jimmy Carter hatte den Befehl noch erweitert: „Niemand, der in Diensten der Regierung der Vereinigten Staaten steht oder in deren Namen handelt, darf sich an Mord oder an Planungen hierzu beteiligen.“

„Aber mechanisiertes Töten ist auch Mord“, sagte Vicki Divoll, eine ehemalige CIA-Anwältin, die heute an der US-Marineakademie in Annapolis lehrt. „Die aktuellen Angriffe mit Drohnen könnten dahingehend interpretiert werden, dass Mord akzeptabel ist“, schloss sich ein anderer Ex-Anwalt der CIA 2002 in einem Interview mit der Washington Post der Meinung seiner Kollegin an.

Acht Jahre später gab es keine Zweifel mehr, dass „gezieltes Töten inzwischen Routine geworden ist“. In seiner ersten Amtszeit „institutionalisierte Obama die hochgeheime Praxis des gezielten Tötens und transformierte Ad-hoc-Elemente (aus der Amtszeit seines Vorgängers George W. Bush) in eine Antiterrorimus-Infrastruktur, die einen offenbar permanenten Krieg führen kann“.[4] Kaum ein paar Tage vergehen seither, ohne dass tödliche Drohnenangriffe publik werden.

JSOC-Teams, die sich selbst mit der legendär-berüchtigten Murder Inc. der Prohibitionsära vergleichen, mordeten und morden Tausende Schuldige, Verdächtige und Unschuldige in Afghanistan, Pakistan, Somalia, Kenia, dem Irak, Jemen und neuerdings auch in Syrien. Sie führen Namenslisten von Verdächtigen. Ob in Afghanistan, Pakistan, Jemen oder Somalia, so mancher Zwist zwischen den Clanhäuptlingen um die Familienehre oder ein Stück Land konnte so ebenfalls gelöst werden, indem der Nachbar bei den US-Truppen als Mitglied von al-Qaida, der Taliban oder sonst einer terroristischen Vereinigung diffamiert wurde. Gegen Ende 2009 führten JSOC-Kommandos monatlich nicht weniger als achtzig, neunzig solcher Mordaufträge aus.

Die ersten beiden CIA-Luftangriffe in Barack Obamas Amtsperiode fanden in den Morgenstunden des 23. Januar 2009 statt. Da war der neue Präsident gerade drei Tage im Amt. Die Angriffe kosteten etwa zwanzig Menschenleben. Im ersten Schlag starben vier Araber, die angeblich mit al-Qaida in Verbindung standen. Im zweiten Schlag jedoch hatte die Drohne das falsche Haus im Visier und traf etwa sechs Meilen außerhalb der Stadt Wana in Südwasiristan den Wohnsitz eines Stammesführers, der die Regierung unterstützte. In dem Angriff starb die ganze Familie, darunter drei Kinder. „Seither wurden die CIA-Bombardierungen in Pakistan in rascher Folge fortgesetzt“, berichtete The New Yorker.

Einer Studie der New America Foundation zufolge ist die Zahl der Drohnenangriffe seit Obamas Amtsantritt dramatisch angestiegen. In den ersten zehn Monaten seiner Regierungszeit autorisierte er mindestens 41 Raketenangriffe in Pakistan, denen je nach Quelle 326 oder 538 Menschen zum Opfer fielen. Das waren mehr Drohnenangriffe, als George W. Bush in den gesamten letzten drei Jahren seiner Amtszeit genehmigt hatte.

Schon nach dem ersten Drohnenangriff im Jemen, bei dem neben al-Harithi und Kamal Derwish vier weitere Männer getötet worden waren, kritisierte Amnesty International: „Wenn dies die vorsätzliche Tötung von Verdächtigen anstelle einer Festnahme war, und zwar in einer Situation, in der sie keine unmittelbare Bedrohung darstellten, waren diese Tötungen außergerichtliche Exekutionen unter Verletzung internationaler Menschenrechtsgesetze.“ Mehrfach beklagte der United Nations Human Rights Council (UNHRC) die hohe Zahl ziviler Opfer amerikanischer Militäroperationen einschließlich der Drohnenangriffe. In seinem Buch „Obama’s Wars“ behauptete Bob Woodward von der Washington Post: „CIA-Drohnen töteten viele Westler einschließlich einiger US-Bürger“ in den pakistanischen Stammesgebieten.

Im Oktober 2009 forderte der UNHRC-Ermittler Philip Alston die USA dringend auf, bei ihrem Drohneneinsatz Menschen nicht einfach aufs Geratewohl zu töten. Er kritisierte, dass die USA auf die Sorgen der Vereinten Nationen nicht eingingen, und hielt es für „problematisch, dass die Central Intelligence Agency ein Programm steuert, in dem eine beträchtliche Anzahl von Menschen getötet wird, und dabei die relevanten internationalen Gesetze missachtet“. Dagegen argumentierte der US-Vertreter vor dem UNHRC, amerikanische Militäraktionen lägen nicht im Zuständigkeitsbereich des UN-Ermittlers zur Untersuchung außergerichtlicher, summarischer oder willkürlicher Hinrichtungen.

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Nach internationalem Recht muss die US- wie jede Regierung eine Terrorgruppe als eine Gruppe definieren, die den bewaffneten Kampf führt, und den Einsatz von Gewalt als „militärisch unumgänglich“ begründen, um terrorverdächtige Zivilisten im Ausland ins Visier nehmen zu können. Dabei müssen angemessene Alternativen wie Gefangennahme unmöglich sein. Um den Tod der Zielpersonen zu rechtfertigen, müssen sie „direkt an feindseligen Handlungen“ beteiligt sein. Der Einsatz von Gewalt muss „verhältnismäßig“ zur Bedrohung sein. Und schließlich muss der Staat, in dem derart gezielte Tötungen stattfinden, seine Genehmigung dazu geben.

Tatsächlich aber unterscheidet sich die Vorgehensweise dieser amerikanischen Schattenkrieger kaum von den Praktiken der lateinamerikanischen Todesschwadronen der 80er Jahre. Den JSOC- oder CIA-Agenten, die für die Auswahl der Ziele zuständig sind, kommt praktisch jeder verdächtig vor, der in den von ihnen überwachten Gebieten in der Lage ist, eine Waffe zur Hand zu nehmen. „Die CIA meinte, Männer im wehrfähigen Alter, die in einer bestimmten Region großen Versammlungen beiwohnten oder Kontakte mit anderen mutmaßlichen Militanten hätten, könne man mit Fug und Recht als Ziele für Drohnenangriffe betrachten. Eine eindeutige Identifizierung sei nicht nötig, nur einige ‚Signaturen‘, die die CIA selbst entwickelt hatte, um Terrorverdächtige zu erkennen.“

Nach offiziellen Angaben fliegen über Pakistan „so viele Drohnen herum, dass unter den Agenten, welche diese Drohnen fernsteuern, schon mal Streit ausbrach, wer den Ruhm für sich in Anspruch nehmen kann, ein bestimmtes Ziel ausgemacht zu haben“. Weil das Programm geheim ist, gibt es kein erkennbares System der Verantwortlichkeit, obwohl die CIA zahlreiche Zivilisten in einem Land getötet hat, mit dem sich die USA nicht im Krieg befinden. Kritiker sagen, viele der Opfer seien unschuldige Zuschauer gewesen: Alte, Frauen und Kinder. Washington behauptet, das internationale Recht erlaube es den USA, Verdächtige auch in Staaten, mit denen man sich nicht im Krieg befinde, ohne Gerichtsverfahren zu töten. Folgerichtig hat die Obama-Regierung derartig verabscheuungswürdige Maßnahmen, die von der Bush-Regierung noch als Ausnahmen dargestellt wurden, inzwischen als normales Vorgehen abgesegnet.

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(Mit Hellfire-Raketen ausgestattete Predator-Drone)

Das britische Bureau of Investigative Journalism zählte seit 2004 alleine in Pakistan 402 Drohnenangriffe, 351 davon von Obama angeordnet. Dabei starben nach Schätzungen (weil die Angaben teilweise ungenau sind) zwischen 2387 und 3865 Menschen, darunter zwischen 168 und 202 Kinder. 1127 bis 1698 weitere Opfer wurden verletzt. Insgesamt kamen durch die von Obama angeordneten Drohnenangriffe in Pakistan, Jemen und Somalia über 3000 Menschen, darunter mindestens 500 Zivilisten, ums Leben. Tatsächlich aber „kennt niemand wirklich die Zahl der Toten durch Drohnenangriffe in diesen entfernten, manchmal unregierten Ländern“, schränkte Michael Boyle, der ehemalige Obama-Berater und Professor an der La Salle University in Philadelphia, die die Treffgenauigkeit aller Angaben ein.

Um sich die pakistanische Kooperation zu sichern, beteiligten die USA Islamabad an der Auswahl der Ziele. Doch weil viele der von Pakistan benannten Ziele unter den amerikanischen Antiterror-Kriegern unbekannt waren, wuchsen die Zweifel, ob diese angeblichen pakistanischen Taliban tatsächlich legale Ziele für Predator-Angriffe waren. Einer Studie der New America Foundation zufolge hatten nur sechs der 41 Drohnen-Angriffe, die in den ersten zehn Monaten der Obama-Regierung in Pakistan geflogen wurden, tatsächlich al-Qaida-Mitglieder im Visier. 18 richteten sich gegen mehrere Taliban, und bei 15 der Attacken war Baitullah Mehsud das Ziel der USA, der als einer der Führer der pakistanischen Taliban galt und von der Regierung in Islamabad für zahlreiche Terrorangriffe im Land verantwortlich gemacht wurde. „Die Bemühungen, Mehsud zur Strecke zu bringen, stellen eine ernüchternde Fallstudie über die Risiken der Kriegführung mit Robotern dar.“

Nicht weniger als 16 Raketen in 14 Monaten benötigten die Antiterrorkrieger, ehe es gelang, ihn zu töten. Diese 16 Raketen rissen neben Mehsud 207 oder 321 unbeteiligte Menschen in den Tod, je nachdem welche Quelle zugrunde gelegt wird.
Zudem dehnte die Regierung Barack Obamas den Geltungsbereich und den Rahmen genehmigter Drohnenangriffe in Afghanistan aus. Ein Bericht des amerikanischen Senatskomitees für Auslandsbeziehungen vom August 2009 enthüllte, dass die Gemeinsame integrierte Liste der vordringlichsten Ziele (Joint Integrated Prioritized Target List) – eine Liste genehmigter Terrorziele des Pentagon, die bis Mitte 2009, als die Politik geändert wurde, 367 Namen enthielt – um fünfzig afghanische Drogenhändler erweitert worden war. Diese fünfzig Drogenhändler standen zwar im Verdacht, zur Finanzierung der Taliban beizutragen, aber der Senatsbericht hatte nicht den geringsten Hinweis gefunden, „dass ein signifikanter Teil aus den Drogenerlösen an al-Qaida geht“.

Angesichts der Tatsache, dass zahlreiche hochrangige Beamte und Offiziere der damaligen Regierung Hamid Karzais in den Heroinhandel verwickelt waren, musste sich die Aufnahme afghanischer Drogenhändler in die amerikanische Zielliste als problematisch und peinlich erweisen. Karzais Halbbruder Ahmad Wali Karzai, der 2010 von einem seiner Leibwächter erschossen wurde, war ebenfalls in korrupte Geschäfte und den Drogenhandel verwickelt.

Niemand weiß genau, wer wo in Pakistans abgelegener Provinz Wasiristan den amerikanischen Drohnen zum Opfer gefallen ist. Die pakistanische Regierung hat nicht nur der Presse den Zutritt zu der Region untersagt, sie hat auch internationale humanitäre Organisationen wie das Internationale Komitee des Roten Kreuzes oder die Ärzte ohne Grenzen ausgeschlossen.
Und inzwischen operieren die US-Streitkräfte offiziell in insgesamt sechs Ländern mit diesen „Roboter-Mördern“: in Afghanistan, Pakistan, dem Irak, Jemen, Libyen und Somalia. „Das ist kein Kriegs-, sondern ein Mordprogramm“, wetterte die Washington Post.

Der hier veröffentlichte Text ist ein gekürzter Auszug aus dem heute im Westend Verlag erscheinenden Buch „Die Weltbeherrscher. Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA“ (400 Seiten, EUR 24.99) von Armin Wertz. Wertz, jahrzehntelang als Auslandskorrespondent für Spiegel, Stern und FR in Lateinamerika und Asien tätig, liefert die erste vollständige Chronik aller US-amerikanischen – der geheimen wie der vom Kongress bewilligten – Operationen in unabhängigen Staaten.

Quellen: PublicDomain/heise.de vom 16.02.2015

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