Teils ist es Unfähigkeit, teils aber auch böse Absicht: Die Politik ignoriert immer öfter gesetzliche Regeln.
Viele Forderungen gingen nicht über das hinaus, was ohnehin geltendes Recht sei – so lautet ein Vorwurf, der wiederholt der Protestbewegung Pegida gemacht worden ist. Tatsächlich werden Recht und Gesetz hierzulande erstaunlich oft nicht angewendet – aus Mangel an Personal, oder aber weil der politische Wille fehlt.
Ein anschauliches Beispiel für diese Diskrepanz förderte vor Kurzem eine Anfrage des Bundestagsvizepräsidenten Johannes Singhammer (CSU) an das Bundesinnenministerium zutage. Demzufolge halten sich nach Daten des Ausländerzentralregisters in Deutschland aktuell mehr als 600000 Ausländer auf, deren Asylantrag abgelehnt wurde oder deren Flüchtlingsschutz abgelaufen ist. „Wer einen Zugang nach Deutschland gefunden hat, insbesondere auch durch eine erfolgreiche Schleusung, hat mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit einen längeren oder faktisch dauerhaften Aufenthalt“, so der CSU-Politiker gegenüber der Online-Ausgabe des Magazins „Cicero“.
In der politikwissenschaftlichen Forschung ist das zugrundeliegende Problem bereits seit Langem bekannt: Das in wirtschaftlicher Hinsicht als überaus effizient geltende Deutschland hat im Bereich der Politik erstaunlich oft mit einem Vollzugsproblem zu kämpfen. Es werden immer neue politische Projekte und Gesetze auf den Weg gebracht, die tatsächliche Umsetzung bleibt allerdings öfter mal auf der Strecke. Wie wenig man sich darauf verlassen kann, dass Gesetze im Alltag noch gelten, konnten die Berliner im letzten Jahr erfahren. Presseberichten zufolge waren in der deutschen Hauptstadt rund 6500 Haftbefehle nicht vollstreckt worden, obwohl rechtskräftige Urteile vorlagen. Angeführt wurden als Begründung Punkte wie „Flucht ins Ausland“ bis zum sattsam bekannten „Personalmangel“ bei den Strafverfolgungsbehörden.
Betroffen ist indessen nicht nur die Justiz in Deutschland. Generell gilt, dass eine Flut von Vorschriften und immer neuen Aufgaben von einer Exekutive umgesetzt werden muss, die im internationalen Vergleich als ausgesprochen klein gelten kann. So waren nach Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 2004 in Deutschland nur elf Prozent der Beschäftigen im öffentliche Dienst tätig. Deutlich mehr Staatsdiener haben dagegen die USA (16 Prozent) und Großbritannien (19 Prozent). Als regelrechter Beamtenstaat kann Frankreich gelten, das fast jeden vierten Beschäftigen im öffentlichen Dienst untergebracht hat. Aus Sicht der deutschen Steuerzahler spricht durchaus einiges dafür, den Staat weiterhin vergleichsweise „schlank“ zu halten. Allerdings muss dann auch sichergestellt werden, dass Justiz, Polizei und Verwaltung ihre Kernaufgaben erfüllen können und nicht durch immer mehr Vorgaben regelrecht gelähmt werden. Tatsächlich scheint sowohl in Brüssel als auch in Berlin die Tendenz ungebrochen, auch noch das letzte Alltagsdetail gesetzlich regeln zu wollen.
Aktuell ist es SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles, die wegen eines Entwurfs für eine Arbeitsstättenverordnung für Schlagzeilen sorgt. In Presseberichten aufgetaucht sind in diesem Zusammenhang Forderungen zur Einrichtung von Erste-Hilfe-Räumen bis hin zur Vorgabe, Unternehmen sollten künftig für Tageslicht in Teeküchen sorgen. Von Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer wurden derartige Gedankenspiele inzwischen als „bürokratischer Irrsinn in Absurdistan“ kommentiert. „Die Politik hat nicht erkannt, welche Brisanz und welcher bürokratische Aufwand hinter Paragraphen stecken, die harmlos klingende technische Details beschreiben“, so der Arbeitgeberpräsident zur „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Die etablierte Politik scheint indessen noch nicht bemerkt zu haben, dass sie sich mit ihrem missionarischem Regulierungseifer, samt Vollzugsdefizit im Alltag, ein massives Glaubwürdigkeitsproblem eingehandelt hat. Aus Sicht vieler Bürger gaukeln Politiker mittlerweile eine Gestaltungsmacht vor, die sie in der Realität gar nicht mehr einlösen können. Verschärft wird diese schon länger schwelende Problematik mittlerweile dadurch, dass auch bei wichtigen internationalen Vereinbarungen, etwa dem Maastricht-Vertrag, der Schengen-Regelung und der Dublin-II-Vereinbarung, die Kluft zwischen gemachten Versprechungen und Realität immer größer wird. Die Politik sieht sich – etwa im Zuge der Euro-Rettungspolitik oder der Asylpolitik – inzwischen sogar dem Vorwurf ausgesetzt, eklatante Rechtsbrüche zumindest stillschweigend zu dulden.
Schwerlich mit dem Fehlen von Geld und Personal begründet werden kann etwa, dass deutsche Behörden Asylanträge bearbeiten, für die sie nach EU-Recht eigentlich gar nicht zuständig sind. Wie eine Bundestagsanfrage der Linken vor einiger Zeit zutage förderte, ging das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge davon aus, das im Gesamtjahr 2013 für fast jeden dritten hierzulande gestellten Asylantrag (32,2 Prozent) eigentlich ein anderes EU-Land zuständig gewesen ist. Für das vierte Quartal 2013 wurde angenommen, dass sogar mehr als jeder zweite Asylantrag (51,9 Prozent) im Zuständigkeitsbereich anderer EU-Mitgliedsländer gelegen hat.
Quelle: preussische-allgemeine.de vom 07.02.2015
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