Deutschland ist angeblich ein reiches Land – im Schnitt werden hier über 30.000 Euro pro Jahr und Einwohner erwirtschaftet. Doch acht Prozent der Bevölkerung sind völlig abgehängt, und zwischen 16 und 20 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze. Gleichzeitig werden die Reichen laut den offiziellen Statistiken immer reicher. Die obersten zehn Prozent verfügen über rund 53 Prozent des Vermögens. Manche Berechnungen gingen von mehr als 60 Prozent aus. Die Armut in Deutschland nimmt kontinuierlich zu und betrifft immer mehr Gruppen in der Gesellschaft.
Armut in Deutschland hat einen historischen Höchststand erreicht. Zu diesem Ergebnis gelangt der Paritätische Gesamtverband in einem Bericht zur regionalen Armutsentwicklung. Danach waren 2013 mehr als zwölf Millionen Menschen von Armut bedroht. Die Armutsquote stieg gegenüber dem Vorjahr von 15 auf 15,5 Prozent. Zugleich ist die Kluft zwischen wohlhabenden und wirtschaftsschwachen Regionen weiter gewachsen. Verbandsgeschäftsführer Ulrich Schneider spricht von einer „armutspolitisch tief zerklüfteten Republik“. Nie zuvor sei die Armut so hoch, nie die regionale Zerrissenheit so tief gewesen wie heute.
Die zerklüftete Republik
Der Armutsbericht erscheint in diesem Jahr verspätet, doch dies aus gutem Grund. Durch die Umstellung und Revision der Daten des Statistischen Bundesamtes auf der Basis des Zensus 2011 war eine Veröffentlichung wie gewohnt im Dezember nicht möglich. Gleichwohl tut diese Verzögerung der Brisanz der Erkenntnisse keinen Abbruch. Die Armut in Deutschland hat nicht nur ein neuerliches trauriges Rekordhoch erreicht, auch ist Deutschland dabei, regional regelrecht auseinander zu fallen. Zwischen dem Bodensee und Bremerhaven, zwischen dem Ruhrgebiet und dem Schwarzwald ist Deutschland, was seinen Wohlstand und seine Armut anbelangt, mittlerweile ein tief zerklüftetes Land.
Hier geht es zum Armutsbericht.
Die wichtigsten Befunde im Überblick:
1: Die Armut in Deutschland hat mit einer Armutsquote von 15,5 Prozent ein neues Rekordhoch erreicht und umfasst rund 12,5 Millionen Menschen.
2: Der Anstieg der Armut ist fast flächendeckend. In 13 der 16 Bundesländer hat die Armut zugenommen. Lediglich Sachsen-Anhalt verzeichnet einen ganz leichten und Brandenburg einen deutlicheren Rückgang. In Sachsen ist die Armutsquote gleich geblieben.
3: Die Länder und Regionen, die bereits in den drei vergangenen Berichten die bedenklichsten Trends zeigten – das Ruhrgebiet, Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern – setzen sich ein weiteres Mal negativ ab, indem sie erneut überproportionale Zuwächse aufweisen.
4: Die regionale Zerrissenheit in Deutschland hat sich im Vergleich der letzten Jahre verschärft. Betrug der Abstand zwischen der am wenigsten und der am meisten von Armut betroffenen Region 2006 noch 17,8 Prozentpunkte, sind es 2013 bereits 24,8 Prozentpunkte.
5: Als neue Problemregion könnte sich neben dem Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen auch der Großraum Köln/Düsseldorf entpuppen, in dem mehr als fünf Millionen Menschen leben, und in dem die Armut seit 2006 um 31 Prozent auf mittlerweile deutlich überdurchschnittliche 16,8 Prozent zugenommen hat.
6: Erwerbslose und Alleinerziehende sind die hervorstechenden Risikogruppen, wenn es um Armut geht. Über 40 Prozent der Alleinerziehenden und fast 60 Prozent der Erwerbslosen in Deutschland sind arm. Und zwar mit einer seit 2006 ansteigenden Tendenz.
7: Die Kinderarmut bleibt in Deutschland weiterhin auf sehr hohem Niveau. Die Armutsquote der Minderjährigen ist von 2012 auf 2013 gleich um 0,7 Prozentpunkte auf 19,2 Prozent gestiegen und bekleidet damit den höchsten Wert seit 2006. Die Hartz-IV-Quote der bis 15-Jährigen ist nach einem stetigem Rückgang seit 2007 in 2014 ebenfalls erstmalig wieder angestiegen und liegt mit 15,5 Prozent nun nach wie vor über dem Wert von 2005, dem Jahr, in dem Hartz IV eingeführt wurde.
8: Bedrohlich zugenommen hat in den letzten Jahren die Altersarmut, insbesondere unter Rentnerinnen und Rentnern. Deren Armutsquote ist mit 15,2 Prozent zwar noch unter dem Durchschnitt, ist jedoch seit 2006 überproportional und zwar viermal so stark gewachsen. Keine andere Bevölkerungsgruppe zeigt eine rasantere Armutsentwicklung.
Armut in Deutschland ist ein Thema, das viele nicht wahrhaben wollen. Aber auch bei uns klafft die Schere zwischen denen, die viel Geld besitzen und denen, die gar keines haben, immer weiter auseinander.
Gerade Frauen sind immer öfter von Armut betroffen. Sie versorgen den Haushalt, kümmern sich um Kinder, Kranke und Alte und bekommen dafür kein Geld. Sie haben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, und wenn sie eine Stelle bekommen, verdienen sie trotz gleicher Qualifikation immer noch weniger als Männer.
Armut ist weiblich
Einige Beispiele:
- Weiblich, jung, alleinerziehend mit kleinem Kind, das ist die Armutsfalle, in der viele Frauen sitzen. Woher sollen diese Frauen noch Geld für eine sogenannte Altersvorsorge nehmen, wenn das Geld nicht einmal für die alltäglichen Belange reicht.
- Frauen, die nach einer langjährigen Ehe geschieden werden, kämpfen mit großen finanziellen Problemen. Den Job haben sie für die Familie aufgegeben, allenfalls später einen Teilzeitjob angenommen. In die Rentenkasse haben sie deshalb kaum eingezahlt. Während der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen 23 Prozent beträgt, ist die Einkommensdifferenz zwischen Rentnerinnen und Rentnern noch größer: Frauen haben im Alter im Durchschnitt 59,6 Prozent weniger als Männer.
- Wenn der Hauptverdiener plötzlich stirbt, erhalten die Frauen nur noch 55 Prozent der Versichertenrente, auf die der verstorbene Ehepartner Anspruch gehabt hätte. Die Ausgaben bleiben die gleichen, viele Frauen stehen plötzlich mit ihren Kindern vor dem Nichts und geraten so unverschuldet in die Armut. Ausgaben müssen dann überdacht, gestrafft und gestrichen werden. Die durchschnittlichen Witwen-Renten liegen bei 547 Euro (West) und 572 Euro (Ost).
„Wir müssen Strukturreformen durchsetzen, auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“ (Wolfgang Schäuble)
Wie diese Reformen aussehen, geht klar aus dieser Grafik hervor. Deutschland, das Niedrig-Lohn-Land, Deutschland – Weltmeister im Lohndumping. Ist das die sogenannte „deutsche Perfektion“, die im Ausland so sehr geschätzt wird?
Es geht noch billiger
Die Regeln der Leiharbeit sind strenger geworden. Unternehmen aus dem Handel und der Industrie wissen sie zu umgehen.
Am 09.09.2011 fand eine Tagung des ZAAR (Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht) mit dem Titel “Freie Industriedienstleistung als Alternative zur regulierten Zeitarbeit” statt. Dabei wurde dann gemeinsam festgestellt: “Es gibt die Chance, den strengen arbeitsrechtlichen Regelungen der Zeitarbeit zu entfliehen”.
Siemens, BASF, die Deutsche Bahn, Porsche, BMW, Robert Bosch und die Metro AG, sie alle hatten sich für diese Tagung angemeldet, ebenso wie die Vertreter der Leiharbeitsunternehmen Randstad und Manpower und die Anwälte von Großkanzleien wie der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft. Der Andrang im Holiday Inn ist so groß, dass sich jene, die zu spät kommen, umständlich in die letzte Stuhlreihe zwängen müssen.
Viele Unternehmen drücken die Löhne jetzt mithilfe von Werkverträgen. Dabei übertragen Unternehmen zentrale Aufgaben an Subunternehmen. Diese Subunternehmen werden pro sogenanntes Werk bezahlt.
Gleiche Arbeit – weniger Geld
Früher nannte man diese Firmen SEELENVERKÄUFER – sie vermieteten Arbeiter an andere Firmen, meist in anderen großen Städten.
Wahlweise wurden diese meist kleine Unternehmen auch Seelenvermieter genannt.
SEELENVERKÄUFER ein uralter Begriff, die Bezeichnung für ein nicht mehr ganz fahrtüchtiges, unsicheres Schiff.
Diese Form der Modernen Sklaverei ist mittlerweile salonfähig geworden und wird von der Regierung unterstützt.
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In der folgenden Dokumentation „Gemachte Armut“ wird auch die europaweite Verbreitung des Problems thematisiert. Etwa in Spanien, das nie einen Wohlfahrtsstaat nach dem Vorbild der Bundesrepublik oder der skandinavischen Länder kannte und seit der Immobilienkrise zusehends verelendet. Pro Jahr wurden hier mehr Häuser gebaut als in der übrigen EU zusammen, und als die Blase platzte, wurden die Banken gerettet – mit Geld, das aus den gestoppten Sozialprogrammen abgezweigt wurde. Die Familie gilt hier als „Matratze“, die den Absturz abfedert, fast 400.000 Familien leben von den Renten der Großeltern – so war der „Generationenvertrag“ eigentlich nicht gedacht. Die Kinderarmut ist – schon wieder! – nur in Bulgarien und Rumänien größer als in Spanien.
Lourdes Picareta beschreibt und analysiert in ihrem Film die Situation in Spanien, Deutschland und Frankreich. Und lässt darin unter anderem Sozialforscher und Politikwissenschaftler zu Wort kommen, die von der „gemachten Armut“ sprechen, von einer Entwicklung, die keineswegs natürlich entstanden ist und vermeidbar gewesen wäre.
Video:
https://www.youtube.com/watch?v=rpiqmblMR9Q
Quellen: arte/harmbengen.de/netzfrauen.org vom 19.02.2015
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