Kleve/Essen: 420.000 Mark hat eine 2012 verstorbene Frau in einem Testament von 1992 der katholischen Kirche vermacht. Für die Grabpflege kommen die kirchlichen Erben bisher aber nicht auf – die zahlen Angehörige.
Inmitten gepflegter Gräber mit Gedenksteinen macht die letzte Ruhestätte von Anne Becker (Name geändert) einen schäbigen Eindruck: Kein Grabstein erinnert an die Verstorbene und ihren Namen; statt Blumen oder Ziersträuchern wuchert Unkraut. Betrachter fragen sich: Ist dies das Grab einer Mittellosen, die auch keine Angehörigen hatte, die ihr Andenken in Ehren halten können?
(Foto: Statt Blumen oder Ziersträuchern wächst Unkraut auf dem Grab von Anne Becker (Mitte). Die katholische Kirche als Erbe hat sich bislang nicht um die Grabpflege gekümmert)
Beide Annahmen sind falsch. Anne Becker – laut ihrer elf lebenden Angehörigen (Neffen und Nichten) zeitlebens eine tiefgläubige und die katholische Kirche verehrende, alleinstehende Frau – war vermögend. Auch hat sie vorgesorgt, dass sie in Würde bestattet und ihr Grab gepflegt wird. In einem Testament (Kopie liegt Redaktion vor) bestimmte die gebürtige Kleverin am 6. September 1992, was mit ihrem Vermögen – damals 434.583,61 Mark – geschehen sollte. 15.000 Mark sollten für ihre Beerdigung in Kleve, die Überführung, Heilige Messen, Grabpflege und Unvorhergesehenes verwendet werden. 300.000 Mark vermachte die Kleverin dem Apostolischen Stuhl in Rom, der in NRW vom Justiziar des Bistums Essen vertreten wird. 100.000 Mark waren für „den Hl. Vater (zur eigenen Zweckbestimmung)“. 20.000 Mark vererbte Anne Becker der Stiftskirche Kleve („für Orgel“) und 100.000 Mark dem Deutschen Verein vom Heiligen Lande mit Sitz in Köln.
Anne Becker starb am 4. August 2012 in einem Duisburger Altenheim. Damals betrug ihr Vermögen, das sie genannten kirchlichen Stellen vererbte, laut Amtsgericht Duisburg etwa 480.000 Euro. Zwei ihrer Neffen organisierten in Kenntnis des Testaments die Bestattung in Kleve am 10. August 2012. Sie gingen davon aus, dass die drei kirchlichen Erben, die als ausschließliche Erben von ihrer Tante benannt und damit auch mit der Beerdigung und der Grabpflege beauftragt waren, „zunächst“ von ihrer Erbschaft und den damit verbundenen Pflichten nichts wissen konnten.
Für die Bestattung zahlte ihnen die Sparkasse Duisburg – dort hatte die Tante ihre Konten – etwa 6000 Euro aus. Die Neffen glaubten, die kirchlichen Erben, die vom Amtsgericht Duisburg über die Erbschaft informiert wurden, würden sich „kurzfristig“ bei ihnen melden. Doch dies geschah nicht. Stattdessen bekam ein Neffe im Januar 2013 eine Mahnung von der katholischen Gemeinde „Zur heiligen Familie“ in Kleve. Darin hieß es, er solle das Grab der Tante in einen „ordnungsgemäßen Zustand“ bringen. Der Neffe wies darauf hin, dies sei die Pflicht der kirchlichen Erben. Doch wieder geschah nichts.
Im Dezember 2013 erhielt der Neffe die nächste Mahnung. Im April 2014 drohte ihm die Klever Gemeinde mit einer Klage. Diese leiteten die nicht-erbenden Angehörigen von Anne Becker an den Justiziar des Bistums Essen als Vertreter des Heiligen Stuhls weiter, bezahlten jedoch aus eigener Tasche die notdürftige Herrichtung des Grabes. Mehrfach suchten die Angehörigen von Anne Becker Kontakt zu den Erben. Als Antworten gab es laut dem Neffen ein „dürres Schreiben“ des Justiziars des Bistum, in dem er die Übernahme der Grabpflege für den August 2014 ankündigte. Doch es geschah nichts.
Einer der nicht-erbenden Angehörigen reichte schließlich am 16. Dezember 2014 in Abstimmung mit den anderen Nichten und Neffen über einen Bonner Rechtsanwalt beim Amtsgericht Duisburg Klage gegen den Apostolischen Stuhl (vertreten durch den Justiziar des Bistums Essen) ein. Der Heilige Stuhl, dem Anne Becker in ihrem Testament 300.000 Mark vermacht hat, solle dem Kläger 453 Euro zahlen, die dieser für die Pflege des Grabes von Anne Becker bezahlt hat.
Das Bistum Essen bestreitet die geschilderten Geschehnisse um die Erbschaft der Anne Becker nicht. Es sieht diese – auch wenn es nach Einschätzung eines Bistum-Sprechers um eine „doch erhebliche Summe“ gehe – scheinbar gelassen. Er sagt: „Noch sind keine Gelder aus der Erbschaft in die Kasse des Bistums geflossen.“ Zudem handele es sich um eine „sehr komplizierte Erbschaft, an der drei kirchliche Stellen beteiligt“ seien. „Im Januar wird man wohl zu einem Abschluss kommen“, meint der Sprecher. Dann würden die „Vorleistungen“ der Angehörigen sicher „bald beglichen“ werden. Es gehe ja schließlich nur um 453 Euro. „Das ist ja nicht die Welt“, so der Sprecher des Bistums.
453 Euro sind auch für die Neffen und Nichten von Anne Becker nicht die Welt. Aber eine Welt wäre nach ihrer Meinung für Anne Becker zusammengebrochen, wenn ihre Tante wüsste, wie wenig der Apostolische Stuhl, der Deutsche Verein vom Heiligen Lande und die Stiftskirche Kleve ihren letzten Willen achten. Die Angehörigen empfinden das Verhalten der katholischen Einrichtungen in hohem Maß als „beschämend, würde- und respektlos sowie arrogant“. Einer ihrer Neffen sagt: „Hätte unsere Tante geahnt, wie diese kirchlichen Einrichtungen sich verhalten, hätte sie diese sicher nicht zu Erben bestimmt.“
Quelle: rp-online.de vom 03.01.2015
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