Radikaler Islam: Feind und Partner der Bundesregierung

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Parallel zur neuen Phase des westlichen „Anti-Terror-Kriegs“ treiben enge Verbündete Berlins Radikalisierungsprozesse in islamischen Staaten voran. Dies belegen aktuelle Untersuchungen und Berichte. Aus Saudi-Arabien und anderen Diktaturen der Arabischen Halbinsel werden nach wie vor Gelder bereitgestellt, um Dschihadisten etwa für den Syrien-Krieg zu rekrutieren.
Saudi-Arabien fördert zudem mit internationalen Missionsbemühungen systematisch die Ausbreitung einer radikalen Ausformung des Islam, des Salafismus, um sich in der politischen Konkurrenz gegen seinen Erzfeind Iran durchzusetzen. Dabei führt die Salafismus-Förderung, wie eine aktuelle Untersuchung am Beispiel Indonesiens belegt, weltweit immer wieder in den gewalttätigen Dschihadismus. Dessen Erstarken wird beispielsweise in Syrien von Berlin weiterhin gebilligt, solange er sich nicht, wie der „Islamische Staat“, gegen den Westen wendet. Geostrategische Motive veranlassen einen engen Kooperationspartner Deutschlands zur Zeit sogar, Al Qaida zu unterstützen. Einwände aus Berlin sind nicht bekannt: Die Maßnahme dient gemeinsamen Zielen.
Wie Saudi-Arabien, einer der engsten Verbündeten Berlins in der arabischen Welt, seit Jahrzehnten und bis heute systematisch den Salafismus fördert, eine besonders radikale Ausformung des Islam, und damit letztlich auch dschihadistische Gewalt begünstigt, zeigt eine aktuelle Studie des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) am Beispiel des saudischen Bildungsexports nach Indonesien.[1] Hintergrund waren und sind machtpolitische Rivalitäten, in denen der Westen jeweils auf der Seite Riads stand und steht.
Die saudische Mission
Wie die GIGA-Studie bestätigt, liegt der Ursprung des saudischen Bildungsexports in den 1960er Jahren – „im so genannten Arabischen Kalten Krieg“, in dem sich „das sozialistische Ägypten unter Präsident Gamal Abd al-Nasser und Saudi-Arabien als Hegemonialmächte“ gegenüberstanden. Der Westen stärkte Riad in der Rivalität mit Kairo, das um Eigenständigkeit gegenüber Europa und den USA bemüht war, den Rücken. Ausgetragen wurde der Machtkampf nicht zuletzt „mittels Bildungsinstitutionen“, berichtet die Autorin der GIGA-Studie.[2] 1961 habe Kairo die traditionsreiche Al Azhar-Universität „zum Missionszentrum“ erklärt, „von dem aus der Islam und die arabisch-sozialistische Vision des Nasser-Regimes eines Pan-Arabismus in der Welt propagiert werden sollte“. Dem habe sich Riad widersetzt und als Gegenstück „noch im selben Jahr die Islamische Universität von Medina gegründet“, als deren Ziel explizit „die internationale Mission“ auf der Basis der spezifisch saudischen Ausformung des Islam formuliert worden sei. Dieser Mission diene bis heute „die großzügige Vergabe von Stipendien an ausländische Studenten“. Zudem habe Riad Bildungseinrichtungen in einer Vielzahl von Staaten weltweit etabliert.
Traditionen der Stammesgesellschaft
Die ideologische Ausrichtung der saudischen Bildungsinstitute beschreibt die GIGA-Studie anhand wissenschaftlicher Analysen saudischer Schulbücher. Demnach vermitteln diese ein „auf Feindbildern basierendes Weltbild“, das streng salafistisch orientiert ist. Sie „legen großen Wert auf … strikte Handlungsverbote im Alltag“, die Traditionen der saudischen Stammesgesellschaft entsprechen, so etwa das „Verbot von Musik, Singen, dem Tragen seidener Kleidung“ oder auch „die strikte Einhaltung der Geschlechtertrennung“.[3] Das spezifisch saudische „Islamverständnis grenzt sich gegen alle Außenstehenden ab und propagiert eine Ideologie des Hasses gegenüber Atheisten, Juden, Christen, Hindus und allen muslimischen Gruppierungen, die nicht der saudischen Interpretation des Islam folgen“, heißt es weiter. In besonderem Maße würden „schiitische und mystische religiöse Praktiken als Götzendienerei kritisiert“. Zwar habe Riad „nach den Anschlägen des 11. September 2001, an denen fünfzehn saudische Staatsbürger beteiligt waren“, auf Druck Washingtons „eine Revision des nationalen Lehrplans“ ankündigen müssen. Tatsächlich sei dies aber „nur oberflächlich“ vollzogen worden, schreibt die Autorin der Studie; die saudischen Lehrmaterialien hätten „nur wenig von ihrem intoleranten Profil verloren“.
Ideologische Allianzen
Der Studie zufolge hat der Bildungsexport für Saudi-Arabien nach der „Islamischen Revolution“ 1979 in Iran „enorm an Relevanz gewonnen“. Ursache war, dass Teheran Riad den religiös fundierten Führungsanspruch streitig machte. Erneut sprang – wie bereits im Konflikt mit Nassers Ägypten – der Westen Saudi-Arabien zur Seite, das „bei der Zurückdrängung des Schiitentums und für die Etablierung internationaler ideologischer Allianzen“ auf seinen Bildungsexport zurückgriff.[4] 1980 nahm Riad unter anderem auch Indonesien ins Visier, das „als Land mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit“ von besonderem Interesse war, und gründete in dessen Hauptstadt Jakarta „als ideologisches Bollwerk“ das „Wissenschaftliche Institut für Islamische und Arabische Studien“ („Lembaga Ilmu Pengetahuan Islam dan Arab“, LIPIA). LIPIA-Absolventen sorgen seitdem für saudischen Einfluss in Indonesien – und sie treiben die Radikalisierung des traditionell friedfertigen indonesischen Islam voran.
Riad als Vorbild
So häufen sich in Indonesien, wie es in der GIGA-Studie heißt, seit einigen Jahren „Gewalttaten gegen muslimische Minderheiten“. Sie werden „insbesondere von Mitgliedern der salafistischen Organisation der Front der Verteidiger des Islam (Front Pembela Islam, FPI) verübt“, die „sich die saudi-arabische Religionspolizei, die als Sittenwächter fungiert, zum Vorbild genommen“ hat. Das ist kein Zufall: Der Gründer der FPI war ehedem Schüler der saudischen Bildungsinstitution LIPIA und erhielt später ein Stipendium zum Studium in Riad. Ein weiterer LIPIA-Absolvent gründete im Jahr 2000 die Miliz „Armee des Jihad“ (Laskar Jihad, LJ), berichtet die Autorin der GIGA-Studie. Die LJ mobilisierte bis zu ihrer Auflösung im Jahr 2002 „Tausende indonesische Muslime, bildete sie militärisch aus“ – und führte sie in den Kampf gegen die indonesischen Christen. Die LJ sei bis in ihren Kleidungsstil hinein an Saudi-Arabien orientiert gewesen; auch ihre Gewalttaten seien „durch Bezugnahme auf Gutachten von Rechtsgelehrten aus Saudi-Arabien“ legitimiert worden.[5] Von Riad inspirierte Institutionen und Organisationen wie LIPIA, FPI und LJ stünden letztlich hinter der in Indonesien deutlich zunehmenden dschihadistischen Gewalt.
Raum für Dschihadisten
Ähnliche Entwicklungen lassen sich in einer ganzen Reihe von Ländern beobachten, oft verbunden mit saudischen Bildungseinrichtungen, oft auch mit von Riad finanzierten Moscheen, Fernsehsendern oder anderer Infrastruktur. Ein Beispiel bietet Syrien. Dort hatte die Regierung von Bashar al Assad bald nach dessen Amtsantritt im Jahr 2000 begonnen, den Druck auf islamistische Strömungen zu verringern. Umgehend war Riad zur Stelle. „Aus dem Ausland unterstützte salafistische Bewegungen füllten die Lücke, unterstützt von großzügigen Spenden vom Persischen Golf“, berichtet der schwedische Syrien-Experte Aron Lund: „Von den Golfstaaten finanzierte TV-Satellitensender und das Internet wurden die vorrangigen Lieferanten islamistischer Propaganda“.[6] Binnen weniger Jahre sei der Salafismus einflussreich geworden; es sei Damaskus nicht mehr gelungen, „die Flut von Saudi-Arabien finanzierten religiösen Materials, die sich nach Syrien ergoss, zu stoppen“. Das Erstarken der salafistischen Strömung habe den „ideologischen Raum“ für „Radikale“ geschaffen – für Dschihadisten, die weiter an Einfluss gewinnen konnten, als ab 2011 – auch durch Interventionen aus Berlin – die Regierung Assad zu wanken begann.[7]
Blutige Folgen
Dasselbe Grundmuster zeigt sich im Rückblick in Libyen [8], in Mali [9], aktuell beispielsweise auch in Tunesien; dort stellen Beobachter fest, dass aus Saudi-Arabien und anderen Golfdiktaturen hohe Summen für das Anwerben dschihadistischer Milizionäre für den Syrien-Krieg gezahlt werden.[10] Auf die geostrategisch motivierte enge Kooperation Deutschlands mit Saudi-Arabien (german-foreign-policy.com berichtete [11]) hat all dies keinerlei Einfluss; vielmehr wird die saudische Förderung des Salafismus hingenommen, weil sie der Schwächung des gemeinsamen geostrategischen Gegners Iran gilt. Die Folgen des westlich-saudischen Polit-Joint Ventures – zunehmende dschihadistische Gewalt – trafen bislang vor allem die islamische Welt, zunächst Afghanistan in den 1980er Jahren, dann – unter anderem – seit 2011 Libyen und Syrien. Warnungen interessierten Berlin nicht. Rückten der Westen und seine Verbündeten nicht von der geostrategisch motivierten Dschihadisten-Förderung in Syrien ab, dann werde es wie in Afghanistan „Generationen dauern, Chaos und Extremismus zu beseitigen“, warnte im September 2012 ein Autor der Washington Post.[12] Er hatte recht.
Unterstützung für Al Qaida
Selbst der Krieg gegen den IS, in dem der Westen Dschihadisten niederzuschlagen sucht, die ihre Gewalt nicht mehr auf die islamische Welt beschränken, hat die Förderung von Dschihadisten zu geostrategischen Zwecken nicht beendet. Das gilt selbst für Al Qaida-Strukturen, die mutmaßlich bis heute von der Türkei begünstigt werden [13] – und nicht nur von ihr. Bereits Anfang Dezember hatten die Vereinten Nationen berichtet, die israelischen Streitkräfte „interagierten“ auf den Golan-Höhen mit der Miliz Jabhat al Nusra („Al Nusra-Front“), die im August 45 UN-Blauhelme zu Geiseln genommen hatte.[14] Aktuellen Berichten zufolge wird Jabhat al Nusra von Israel durch „medizinische wie logistische Hilfe“ unterstützt.[15] Ursache sei es, dass die Miliz in Syrien gegen die Regierung von Bashar al Assad und gegen die mit dieser verbündete proiranische Hizbullah kämpft. Jabhat al Nusra, Kooperationspartner gegen Assad und proiranische Kräfte, gehört dem Netzwerk Al Qaida an, dem sich zwei der Attentäter von Paris zugerechnet haben.
Weitere Informationen zur Kooperation Berlins und seiner Verbündeten mit Islamisten und Dschihadisten finden Sie hier: Die kommenden Kräfte, Vom Feind zum Partner, Der Feind meines Feindes, Vom Feind zum Partner (II), Im Rebellengebiet (IV), Religion und Interesse, Syriens westliche Freunde und Der Krieg kehrt heim.

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