Forscher aus der ganzen Welt sind sich verblüffend einig: Die Zahl von Gewaltverbrechen steigt mit der Bleibelastung im Blut von Kindern – allerdings mit einer Verzögerung von 20 Jahren. Wir sollten uns vor Blei in Acht nehmen.
Manchmal gibt es erfreuliche Nachrichten, die keine Aufmerksamkeit erfahren, weil das Ergebnis so gar nicht zum Zeitgeist passen will. In den USA wundern sich die Kriminologen über einen unerklärlichen Trend: Bis 1990 stieg die Zahl der Verbrechen kontinuierlich an, seither sinkt sie in gleicher Weise wieder ab. Das zeigen die Daten des FBI – und nicht nur diese. Lange wurde über die Gründe gerätselt. Inzwischen zeichnet sich ab, dass wohl ein Umweltgift die zentrale Rolle spielt, eine Erkenntnis, die allerdings nicht überall auf Zustimmung stößt. Als Ursache der sinkenden Kriminalitätszahlen gilt das Verbot von Blei im Benzin. Klingt irgendwie zu einfach, um wahr zu sein.
(Bild: Ein beliebter Brauch an Silvester: Bleigießen. Die Dämpfe sollte man möglichst nicht einatmen)
Blei fördert aggressives und antisoziales Verhalten
Andererseits: Das Blei, genauer gesagt das Tetraethylblei, das früher dem Benzin als Antiklopfmittel zugesetzt wurde, wird vom Menschen unmittelbar über die Atemluft und über die Haut aufgenommen. Dutzende von Forschern sind beim Experimentieren dabei zu Tode gekommen – einschließlich seines Entdeckers. Im Körper wird das Tetraethylblei in das hochtoxische Nervengift Triethylblei umgewandelt. Es ist damit auch weitaus giftiger als gewöhnliches, sprich anorganisches Blei.
Einer der ersten, der vor den Folgen einer chronischen Bleibelastung gewarnt hatte, war der Pädiater Herbert Needleman. Seine Studien hatten schon vor Jahrzehnten gezeigt, dass erhöhte Bleiwerte bei Kindern mit „erhöhter Aggression, gestörter Aufmerksamkeit und Delinquenz einhergehen“. Needleman wurde deshalb als Betrüger attackiert. 13 Jahre lang nahmen ihn die Blei-Firmen unter Beschuss und versuchten ihn zu ruinieren.
Needleman sollte recht behalten: Je höher die Bleiwerte bei Kindern, desto häufiger klagten Lehrer und Eltern über aggressives und antisoziales Verhalten. In einer Studie ließ sich aus den Blutbleiwerten in der Kindheit sogar die Zahl der späteren Gefängnisauf-enthalte ableiten. Blei beeinträchtigt dauerhaft die gesunde Entwicklung des kindlichen Gehirns und mindert dosisabhängig die Intelligenz.
Zusammenhang in den USA eindeutig belegt
In den USA folgt die Kriminalitätsrate seit 1960 exakt den Bleiwerten im Blut von Klein-kindern, allerdings mit einer Verzögerung von rund 20 Jahren. Denn dann sind die bleigeschädigten Kids in einem Alter, in dem sie mit kriminellen Handlungen auffällig werden können. Aufgrund dieser zeitlichen Verzögerung war der Effekt solange verborgen geblieben.
Im Einzelnen: Bis 1970 steigt das Blei im Blut der Kinder kontinuierlich an, und parallel dazu mit 20 Jahren Abstand auch die Kriminalität. Ihren historischen Spitzenwert erreichte sie 1990. Nach dem stufenweisen Verzicht auf Tetraethylblei im Benzin, auf Bleiweiß in den Wandfarben und auf Bleirohre in den Trinkwasserleitungen sanken die Blutbleiwerte von US-Kleinkindern von durchschnittlich 25 Mikrogramm pro Deziliter Blut inzwischen auf weniger als 5 Mikrogramm. Gleichzeitig sank die Zahl der Verbrechen von 1990 bis heute – um über 40 Prozent.
Toxikologen fordern weitere Reduzierung der Bleibelastung
Wenn die Datenlage in den USA tatsächlich so eindeutig ist, dann fragt man sich natürlich, wie sieht das dann in Deutschland aus? Wie in anderen europäischen Staaten oder gar auf der anderen Seite des Globus, in Neuseeland? Überall auf der Welt wurde das Benzin verbleit. Und überall beobachten Toxikologen und Kriminologen das gleiche Muster: Die Häufigkeit von Gewaltverbrechen korreliert mit der Bleibelastung im Blut von Kindern 20 Jahre zuvor.
Toxikologen fordern eine weitere Minimierung der Belastung. Sie versprechen sich dadurch erhebliche soziale Vorteile. Auch wenn das Benzinblei sicherlich die giftigste Bleiverbindung war, die in großem Stile verbreitet wurde, und mittlerweile verboten ist, so ist es weiterhin notwendig, die Belastung aufmerksam zu verfolgen. Denn da tauchen immer wieder ungeahnte Blei-Quellen aus den Tiefen des globalen Handels auf. Mahlzeit!
Literatur
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Quellen: dpa/PA/deutschlandradiokultur.de vom 14.11.2014
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