Das Christentum ist eine Buchreligion – und doch oder gerade deshalb verbrennt es Bücher: die Heilige Schrift genauso wie medizinische, juristische, naturwissenschaftliche, belletristische, klassische, theologische und philosophische Literatur. Das Medium Buch ist so gefährlich, dass sich die kirchliche Autorität lange nur mit Bücherverboten zu helfen wusste. Im Vatikan lagert dazu eine Fülle von höchst aufschlussreichem Material: ein einmaliges Archiv neuzeitlicher Wissenskultur mit negativem Vorzeichen.
Karl Mays „Winnetou“ und der „Knigge“ entkamen, wie Hitler, Stalin und Mussolini. Victor Hugos Glöckner von Notre Dame aber gehörte dazu. Werke von Kopernikus, Luther, Kant, Sartre und Zola auch.
Schriften von Kirchenvätern wie Thomas von Aquin und antike „Klassiker“ von Aristoteles, Platon, Hippokrates und Ovid. Der „Index verbotener Bücher“ (Index librorum prohibitorum) listet insgesamt 6000 Bücher auf. Bis zum Jahr 1966 galt: Wer eines dieser Werke las, konnte von der Kirche exkommuniziert werden.
Ein Müller aus dem italienischen Friaul des 16. Jahrhunderts hat eine gefährliche Leidenschaft: Domenico Scandella, genannt Menocchio, liest. Auf Märkten kauft er 20 Bücher, aus ihnen mixt er sich sein eigenes Welt- und Gottesbild zusammen. Er geht nicht länger von einer Schöpfung der Welt in sieben Tagen aus. Das Ganze, erzählt Menocchio den Bauern, die ihm ihr Korn zum Mahlen bringen, sei „irgendwie so wie mit den Würmern, die aus dem Käse heraus kriechen“. Gott sei nichts anderes als die Luft, und überhaupt könne man Gott gar nicht erkennen. Der Müller wird denunziert. Die Römische Inquisition, die überall ihre Spitzel hat, ermahnt ihn. Er soll nicht mehr lesen. Menocchio weigert sich. Ihm wird der Prozess gemacht, 1599 stirbt er auf dem Scheiterhaufen.
Der Tod des „Häretikers“ führt hinein in das große Thema des „Index der verbotenen Bücher“, 1559 als Reaktion auf die Reformation und die medienpolitische Revolution des Buchdrucks gegründet, um den kirchlichen Kontrollanspruch über die Wissenskultur zu konservieren; ein Stoff, der bis heute Vorbehalte gegen die päpstlichen Glaubenswächter aktiviert.
Der schlichte Denker aus Friaul steht in einer Reihe mit dem scharfsinnigen Renaissance-Philosophen Giordano Bruno, der ein Jahr nach Menocchio den Flammentod erleidet, aber auch mit Galileo Galileo, der sich zum heliozentrischen System von Nikolaus Kopernikus bekannte und widerrufen musste, und mit rund 4000 Autoren, die bei der Indexkongregation, der „kleinen Schwester“ der Furcht und Schrecken erregenden Inquisition, angeschwärzt wurden. Die Bandbreite reicht von Honore de Balzac über Heinrich Heine und Immanuel Kant bis Jean-Paul Sartre. Martin Luther, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin fehlen ebenso wenig wie der „Benimm-Papst“ Adolph von Knigge, Karl May und Harriet Beecher Stowe, die Autorin von „Onkel Toms Hütte“. Wer auf dem „Index librorum prohibitorum“ landet, dem ist die Rechtgläubigkeit abgesprochen. Traf einen katholischen Theologen der Bannstrahl, dessen Karriere war am Ende. Die schwarze Liste gilt im kollektiven Gedächtnis als Katalog geistiger Verknechtung, als „Friedhof katholischen Geisteslebens“ oder „Schädelstätte der Geistesgrößen“.
Dem ersten veröffentlichten Index von 1559 ist ein Dekret der Römischen Inquisition vorangestellt, das jedem die Exkommunikation androht, der eine indizierte Schrift ver-breitet oder aufbewahrt. Exkommunikation, Ausschluss von den Sakramenten bedeutete damals gesellschaftliche und politische Stigmatisierung. Laien war die Lektüre der Bibel in modernen Übersetzungen verboten, denn „es steht aus Erfahrung fest“, bestimmte das Trienter Konzil 1562, „dass, wenn man das Lesen der Heiligen Schrift in den Volks-sprachen jedermann erlaubt, daraus wegen der Verwegenheit der Menschen mehr Schaden als Nutzen entsteht“.
Faktisch konnten nur der Papst oder die Inquisition davon dispensieren, hat der katholische Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf herausgefunden, der seit Mitte der Neunzigerjahre in den einschlägigen vatikanischen Archiven forscht. Wolf liefert sich für das ZDF an Ort und Stelle, in den Kellern der heutigen Glaubenskongregation, mit dem evangelischen Journalisten Wolf von Lojewski ein kluges, zugleich unterhaltsames Duell; der Zweiteiler „Der Index – Die schwarze Liste des Vatikan“ ist eine Reise durch 500 Jahre europäische Kulturgeschichte.
Bis zur Öffnung der Römischen Inquisition und der Indexkongregation 1998 konnten Historiker meistens nur Opfergeschichten schreiben, jetzt rückten endlich auch die Täter ans Licht – die Richter, die Denunzianten, die Drahtzieher. Nicht wenige Autoren hatten nach Wolfs Recherchen ein Verfahren am Hals, ohne davon etwas mitbekommen zu haben. Es gelang der Kongregation, das Geheimnis einer – anonymen – Anzeige gegen den „Winnetou“-Verfasser Karl May zu wahren; es gab kein Verfahren gegen ihn. Wieder andere Autoren waren zwar faktisch in Rom nie denunziert worden, aber nicht selten konnte allein aus dem Gerücht einer Anzeige von Gegnern einer missliebigen Person politisches Kapital geschlagen werden.
Heinrich Heine stand bis 1966 auf der schwarzen Liste. Indizien sprechen dafür, dass er vom Wiener Staatskanzler Fürst Metternich in Rom angeschwärzt wurde. Der Dichter war als Anführer einer „Sekte, die ,Junges Deutschland‘ genannt wird“ vom Deutschen Bund geächtet worden; Aufstachelung zur Revolution warf man ihm vor. Und Metternich hatte nicht nur den Nuntius in Wien auf das „Junge Deutschland“ hingewiesen, er ließ auch seinen Gesandten beim Heiligen Stuhl tätig werden. Indiziert wurden Heines Werke später aber wegen „Gottlosigkeiten“ und moralisch bedenklichen Formulierungen, von Revolution war nicht mehr die Rede. Der Katholizismus, hatte er gespottet, sei eine gute Sommerreligion, „es lässt sich gut liegen auf den Bänken der alten Dome, man genießt die kühle Andacht, ein heiliges dolce far niente“. Den Beichtstuhl bezeichnete er als „Häuschen aus braunem Holz für die Notdurft des Gewissens“.
Nicht nur am Beispiel Heines zeigt sich, dass die Arbeit der Indexkongregation, ihrer Zensoren und Gutachter, differenziert gesehen werden muss. Hier lief nicht unbedingt eine gut geölte, aber seelenlose Verbotsmaschine. Giacinto Novaro, der Inquisitor von Perugia, verlangte 1853 die Verdammung von „Onkel Toms Hütte“, er deutete Harriet Beecher Stowes Plädoyer für die Sklavenbefreiung als versteckten Aufruf zur Revolution im Kirchenstaat und in ganz Europa. Doch der Zweitgutachter Antonio Fania da Rignano reagierte anders: Das Buch der protestantischen Autorin sei auch für Katholiken empfehlenswert. Papst Pius IX. schloss sich ihm an. Dieser Fall zeigt nach Hubert Wolf mit bemerkenswerter Klarheit, wie kontrovers in der Indexkongregation diskutiert werden konnte und dass der alte Satz „Wer in Rom angezeigt wird, ist schon so gut wie verurteilt“ zumindest fragwürdig ist.
Knigges Buch „Über den Umgang mit Menschen“ sollte als verdammenswertes Produkt der Aufklärung auf die schwarze Liste gesetzt werden. Dem Freiherrn gehe es nur um das weltliche Glück, das widerspreche der gesunden katholischen Moral, befand ein Zweitgutachter. Der erste hatte auf Freispruch plädiert. Nun musste die Index-kongregation entscheiden. Sie entschied, dass es nichts zu entscheiden gab, ihr Sekretär legte den Vorgang zu den Akten, ein formelles Zensurverfahren wurde erst gar nicht eröffnet. „Der Knigge findet sich daher auch nicht auf dem Index der verbotenen Bücher, ja bis heute wusste man nicht einmal, dass er in Rom denunziert worden war“, so Wolf.
In der Auseinandersetzung um das Verhalten von Pius XII. während der Nazi-Zeit und um die Frage, warum zwar Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ 1934 – fünf Monate nach der Ratifikation des Reichskonkordats – auf den Index kam, Adolf Hitlers „Mein Kampf“ aber nicht, wagt auch Wolf noch kein definitives Urteil. Einen Fall Hitler hat es in der Inquisitionsbehörde tatsächlich gegeben. Von 1934 bis 1937 beschäftigte sie sich mit einer Liste aller zeitgenössischen Irrtümer, die feierlich verdammt werden sollten. Dazu wurde der Rassismus gezählt, die entsprechenden 37 Verurteilungssätze stammen allesamt aus „Mein Kampf“. Veröffentlicht wurde die Liste nicht.
Über die Gründe wird gerätselt. Hat Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., aus politisch-taktischen Gründen die öffentliche Verdammung ver-hindert? Bei den entscheidenden Sitzungen war er gar nicht anwesend, was freilich eine indirekte Beeinflussung nicht ausschließt. Formal steht Pius XI. als derjenige fest, der die Anti-Rassismus-Erklärung am 4. Juni 1937 auf Eis legte.
Womöglich machte die katholische Staatsauffassung den römischen Glaubenswächtern einen Strich durch die Rechnung. Wolf neigt dieser These zu: Rosenberg, den Chef-ideologen einer weltanschaulichen Bewegung, die in klarem Widerspruch zum katholischen Glauben stand, konnte man jederzeit indizieren, die legale staatliche Obrigkeit, den „Führer“ und Reichskanzler Hitler jedoch keineswegs. Heißt es doch im Römerbrief: „Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt.“ Auch Mussolini, Lenin oder Stalin landeten nicht auf dem Index.
Vergeblich sucht man auf der schwarzen Liste Charles Darwin. Jedoch gerieten katholische „Darwinisten“ ins Visier der Glaubenswächter. So der Amerikaner John Zahm, der um 1900 an der Universität Notre Dame in Indiana lehrte. Sein Buch „Evolution und Dogma“ wurde verboten, die Indizierung, offenbar aus Rücksicht auf die politische Situation in den USA, nicht bekannt gemacht.
Nach 1945 traf der römische Bannstrahl vorwiegend progressive katholische Theologen, sieht man von der Indizierung der Schriften von Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und Andre Gide ab. Dennoch war es in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) nur ein einziger Bischof, der ausdrücklich die Abschaffung der Buchverbote forderte: Wilhelm Kempf aus Limburg.
Erst am 14. Juni 1966 verabschiedete sich der Vatikan formell von der schwarzen Liste: „Index nicht mehr bindendes Kirchenrecht“, titelte damals die WELT. Die Glaubens-kongregation versuchte, einen Ersatz-Index durchzusetzen: Dreimal jährlich sollten in allen Kirchenzeitungen die Titel „gefährlicher Bücher“ aufgeführt werden. Zu diesem Zweck wurde eigens die Zeitschrift „Nuntius“ gegründet. Die erste Ausgabe erschien 1967 – sie sollte die einzige bleiben.
Video:
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Literatur:
Index: Der Vatikan und die verbotenen Bücher von Hubert Wolf
Gebundene Ausgabe: 303 Seiten
Verlag: C.H.Beck
ISBN: 978-3406543715
Quellen: PRAVDA TV/Wikipedia/WeltOnline/perlentaucher.de/chbeck.de vom 18.12.2014
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