Erst freiwillig, dann unter Zwang: Tschechen im Totaleinsatz für Deutschland

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Sie arbeiteten in Rüstungsbetrieben, bei der Reichsbahn oder einfach nur beim Fleischer: Tschechen waren die ersten billigen Arbeitskräfte aus dem Ausland, die im nationalsozialistischen Deutschland eingesetzt wurden. Anfangs geschah dies sogar freiwillig, doch schon bald wurde die Bevölkerung aus dem sogenannten Protektorat Böhmen und Mähren zwangsrekrutiert. Im Laufe des Kriegs wurden zudem die Bedingungen für ausländische Zwangsarbeiter in Deutschland teils lebensbedrohlich.

Der 5. Juni 1939, am Prager Bahnhof warten mehrere hundert Frauen und Männer auf die Fahrt nach Deutschland. Unter ihnen ist auch ein deutscher Radioreporter:

„Jeder einzelne dieser schlichten Arbeitsmänner aus Böhmen und Mähren ist sich bewusst, dass seine heutige Fahrt ins Altreich den Beginn eines neuen Lebensabschnittes für ihn und die Seinen bedeutet. In diesem Bewusstsein ist auch der Rahmen bei der Abfahrt des Sonderzuges dieser tschechischen Arbeiter gestaltet.“

Tatsächlich fehlen im Protektorat Böhmen und Mähren Arbeitsplätze. Mitte März 1939 erfassen die Behörden etwa 90.000 Menschen ohne Beschäftigung. Dabei hatten die deutschen Behörden sogar schon vorher die Tschechoslowakei darum gebeten, tschechische Kräfte anwerben zu können. Doch der noch selbständige Staat hatte sich sehr zurückhaltend gezeigt. Erst nach dem Einmarsch der Wehrmacht im März 1939 ändert sich die Lage. Nun können die Deutschen ihre Werbeaktion problemlos starten, schließlich ist das sogenannte Protektorat Böhmen und Mähren nur noch scheinbar souverän – in Wirklichkeit steht es unter Berliner Kontrolle. In der Radiosendung vom 5. Juni 1939 schildert ein hoher Beamter des Reichsarbeitsministeriums:

„Die Verwirklichung der Erfassung der Tschechen für den Arbeitseinsatz im Reich hat am 23. März begonnen und wird seitdem mit etwa 35 besonders geeigneten Arbeitsvermittlern des Deutschen Reiches im ganzen Gebiet Böhmen und Mähren in engster Verbindung mit dem tschechischen Sozialministerium durchgeführt. Bisher wurden bereits rund 11.000 tschechische Arbeitskräfte eingesetzt. Und so fahren augenblicklich täglich etwa zwei Sonderzüge.“

Mit Plakaten wird den Arbeitswilligen eine lohnenswerte Beschäftigung im sogenannten Altreich vorgegaukelt: gute Bezahlung, billige Unterkünfte und Verpflegung sowie kostenlose Anreise zum Arbeitsort. Die Realität sieht häufig anders aus: Die Arbeiter stellen fest, dass Deutschland teuer ist, dass sie extrem schwere Tätigkeiten verrichten müssen und zudem nicht gerade freundlich behandelt werden. Es tritt Ernüchterung ein.
Auch deswegen üben die Arbeitsämter im Protektorat schon ab April 1939 einen gewissen Druck aus. Stanislav Kokoška ist Historiker bei der tschechischen Akademie der Wissenschaften:

„Die Arbeitslosen in der ersten Welle des Arbeitseinsatzes wurden indirekt zur Annahme einer Beschäftigung im Reich gezwungen. Ihnen drohten die Streichung der Arbeits-losenunterstützung oder weitere Strafen. Am Anfang waren die Bedingungen für sie in Deutschland aber noch relativ erträglich, denn sie konnten privat wohnen. Formal hatten sie ähnliche Vorteile wie deutsche Arbeiter oder jene Arbeiter, die aufgrund von bilateralen Verträgen dort waren, wie zum Beispiel Slowaken. Später verschlechterte sich die Stellung der tschechischen Arbeiter. Als erstes wurde der Abschluss neuer Arbeits-verträge verboten, und die Behörden durften die bestehenden Verträge einseitig verlängern. Das bedeutete praktisch, dass die Tschechen in Deutschland bleiben mussten. Zugleich durften sie nur noch in Gemeinschaftslagern untergebracht werden, die private Beherbergung wurde untersagt.“

Während anfangs Verheiratete noch häufig vom Arbeitseinsatz verschont werden, nehmen die Beamten später auch darauf keine Rücksicht mehr. Besuch aus dem Protektorat ist nicht erlaubt. In den Massenunterkünften wiederum sind die Bedingungen meist katastrophal: ein Wasserhahn für hunderte Menschen, im Winter ist es unerträglich kalt und die Baracken sind voller Flöhe und Läuse.

Während sich die Bedingungen in Deutschland also verschlechtern, schaffen die Berliner Beauftragten alle notwendigen Voraussetzungen, um die Menschen im Protektorat auch zur Zwangsarbeit im engeren Sinn heranziehen zu können. Zdeňka Kokošková, Historikerin am Tschechischen Nationalarchiv in Prag:

„Man kann sagen, dass in der ersten Phase, also von der Entstehung des Protektorats bis ins Frühjahr 1942, als Fritz Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz im Reich ernannt wird, schrittweise aus der freiwilligen Arbeitsaufnahme auch im Protektorat ein Zwangsapparat wurde. Das bedeutete, dass die hiesige Gesetzgebung an die Bedürfnisse des Reiches angepasst wurde, es wurden Arbeitsbücher eingeführt, es entstand ein großes Netz an Arbeitsämtern, um alle Arbeitskräfte zu erfassen. Und nicht zuletzt richteten die Behörden auch Arbeitsstraflager ein, die später Arbeitserziehungslager hießen.“

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(Zwangsarbeit in KZ-Außenlagern. Quelle: KZ-Gedenkstätte Flossenbürg)

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Wie in Deutschland ist nun die freie Berufswahl eingeschränkt, und die Unternehmen dürfen ihre Mitarbeiter auch nicht mehr selbständig aussuchen. Noch im Sommer 1939 war die allgemeine Arbeitspflicht für junge Männer eingeführt worden.

Das Jahr 1942 bedeutet dann eine Zäsur. Nun werden erstmals ganze Jahrgänge zur „Arbeit im Reich“ herangezogen. Denn Fritz Sauckel als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz fordert immer mehr qualifizierte Kräfte an. Er will monatlich 100.000 Arbeiter für deutsche Rüstungsbetriebe.

„Für diese zweite Gruppe, die ab Herbst 1942 bis ins Jahr 1944 für jeweils eine gewisse Zeit ins Deutsche Reich geschickt wurde, waren die Bedingungen aus formaler Sicht besser. Denn es handelte sich um zentral geleitete Aktionen, und der deutsche Staatsminister im Protektorat, Karl Herrmann Frank, wollte einen gewissen Standard wahren. Die Realität war jedoch anders, allein weil sich die Lage in Deutschland gewandelt hatte. Die Arbeit war noch intensiver, und schon kleine Vergehen wurden hart bestraft, was aber auch für die deutsche Bevölkerung galt. Doch die Betroffenen der sogenannten Jahrgangsaktionen hatten den Vorteil, dass sie auf Basis eines zeitlich befristeten Vertrags arbeiteten und danach meistens wieder ins Protektorat zurückkehren konnten“, so Stanislav Kokoška.

Dass die Lage der tschechischen Arbeiter in Deutschland ziemlich schlecht ist, fällt auch den deutschen Behörden auf. Im Januar 1943 schreibt zum Beispiel der Beauftragte des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums, Franz Seiboth:

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„In der Art der Behandlung rangierten die Tschechen hinter Italienern, Angehörigen germanischer Völker und Nichtgermanen befreundeter Länder und ein wenig vor Ostarbeitern und Polen. Diese geringe Besserstellung vor der letzten Gruppe erfolgte aber nicht auf Grund einer Anordnung von zuständiger Stelle, sondern rein gefühlsmäßig und nicht überall. In Meinungen, Presseartikeln usw. dagegen werden die Tschechen fast immer als nur zur letztgenannten Gruppe gehörend oder mit dieser im Zusammenhang genannt.“

Eine Gruppe für sich sind mehrere Tausend junge Männer, die in unterschiedlichen halbmilitärischen Organisationen dienen müssen. Sie arbeiten unter besonders harten Bedingungen. Historiker Kokoška:

„Diese dritte Gruppe, die in der Organisation Todt zum Bau von militärischen Anlagen eingesetzt war oder in Bataillonen, die die Schäden nach den Luftangriffen in Deutschland beseitigten, war einer sehr strengen Disziplin unterworfen. Diese Leute waren vollkommen der Last einer Zwangsarbeit ausgesetzt. Sie dienten ab dem Moment, da sie eingezogen wurden, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in diesen halbmilitärischen Einheiten.“

Nicht wenige versuchen, dem Arbeitszwang zu entkommen. Doch die Strafen sind drastisch. Das Archiv des tschechischen Büros für die Opfer des Nationalsozialismus hat Erinnerungen aufgezeichnet von ehemaligen Zwangsarbeitern. Zu jenen Unglücklichen, die in Arbeitserziehungslager gesteckt werden, gehört zum Beispiel Jiřina K.; sie wird kurz vor Kriegsende in der Nähe von Plzeň / Pilsen interniert, nachdem ihre Schule geschlossen wurde. In ihren Erinnerungen steht:

„Nach der Schließung der Schule wurde ich zur Zwangsarbeit verpflichtet, ich war nicht einmal 16 Jahre alt. Weil ich stark rheumatisch war, hatte ich ein ärztliches Attest, dass ich nur im Warmen und im Sitzen arbeiten durfte. Weil dies nicht passierte, sabotierte ich die Arbeit. Dafür bekam ich zwei Monate Arbeitslager. Wir erlebten das Bombardement der Škoda-Werke, hungerten, und zum Teil wurde ich grauhaarig.“

Heutzutage sind viele solcher einzelnen Schicksale dokumentiert. Doch über eines sind sich die Historiker bis heute nicht im Klaren: wie viele Zwangsarbeiter es in Deutschland eigentlich gegeben hat. Bei den Tschechen und Tschechinnen liegen die Schätzungen zwischen 400.000 und 600.000.

Quellen: Tschechisches Fernsehen/radio.cz vom 08.11.2014

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