Abschied von der Dunkelheit: Die Sterne verschwinden vom Himmel

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Die meisten Menschen haben Angst vor der Dunkelheit, weil sie alles zu verschlingen scheint. Inzwischen ist das nächtliche Dunkel ein rares Gut geworden, mit gewaltigen Konsequenzen. Wo die Sterne unsichtbar werden, geht mehr verloren als die Romantik.

„Stockdunkles Land. Und darüber Sterne, die bis auf den Boden herabfallen.“ Was Paul Bogard in seinem Buch „Die Nacht“ als „urgewaltige Dunkelheit“ beschreibt, bekommt heute kaum noch ein Mensch zu sehen. Wir leben in einem lichtgesättigten Zeitalter, in der jeder verwaiste Parkplatz und jede verlassene Straße Nacht für Nacht illuminiert werden.

(Foto: Der Sternenhimmel über einer Kirche in Neuseeland)

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass selbst Stadtbewohner mit der untergehenden Sonne in der Finsternis zur Ruhe kamen. Allenfalls Kerzen oder Öllampen beschienen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Tische, Betten, Häuser und Straßen. Als 1807 in London die ersten Gaslaternen entzündet wurden, empfanden die Menschen deren Helligkeit „so klar wie an einem Sommermittag“. Inzwischen zählt London zu den hellsten Städten der Welt und erscheint auf dem „Weltatlas der künstlichen Helligkeit des Nachthimmels“ als weißglühender Fleck. Vor allem die großen Ballungszentren strahlen ihr Licht viele Kilometer weit in ihre Vororte und noch weit darüber hinaus. Deshalb sind nicht nur im Zentrum einer Großstadt die Sterne nahezu ausgelöscht.

Der diffuse Nebel aus Licht schluckt die Dunkelheit, bis sie de facto kaum noch vorhanden ist. Doch wie dunkel ist dunkel? Um der gefühlten Dunkelheit eine etwas weniger subjektive entgegenzusetzen, entwickelte der pensionierte Feuerwehrchef John E. Bortle die nach ihm benannte Bortle-Skala. Auf einer Skala von 1 bis 9 wird zwischen extrem dunkel und dem Innenstadthimmel in verschiedenen Stufen danach unterschieden, ob und wie viele Sterne man mit bloßem Auge erkennen kann. Schon Orte der Bortle-Klasse 2 sind in Europa kaum noch zu finden, in Deutschland gelten das Dorf Gülpe im Westhavelland und der Naturpark Rhön als die dunkelsten Orte überhaupt.

Reise durch die Nacht

Bogard konzentriert sich bei seinen Beobachtungen vor allem auf die USA und unter-nimmt lediglich Ausflüge nach Europa. Was er bei seinen nächtlichen Wanderungen erfährt, lässt sich allerdings auch hierzulande nachvollziehen. Und je mehr man in Bogards Art, die Nacht zu sehen, eintaucht, umso faszinierender wird die Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Da ist zunächst einmal die Tatsache, wie weit das menschliche Auge in der Lage ist, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die Zeit, in der man die Hand vor Augen nicht sehen kann, ist tatsächlich eher kurz. Denn ehe man sich’s versieht, hat sich das Auge adaptiert und selbst im Dunkeln entfaltet sich ein erstaunlich vielfältiger Blick auf die Umwelt.

Bogard berichtet von Blüten, die sich nur bei Mondlicht öffnen und von Nachtfaltern bestäubt werden, von Meeresschildkröten, die nur im Sternenlicht ihren Weg ins Meer finden, von Gerüchen und Geräuschen, die der Nacht ihre Magie verleihen. Dass er das nicht aufschreiben konnte, ohne dabei ins Schwärmen zu geraten, verzeiht man ihm als Leser. Er schreibt aber auch über Ruhelose, die keinen Schlaf mehr finden, weil sie unter Dauerbeleuchtung stehen, über Schichtarbeiter, die mit jedem Jahr ohne Nachtschlaf dicker und ungesünder werden und über die Illusion, dass immer mehr Licht Einbrecher und andere Bösewichte von ihrem Tun abhalten könnte.

Längst machen die Menschen die Nacht zum Tage, ohne die Folgen überhaupt ganz absehen zu können. Schon den Verlust der Dunkelheit können viele gar nicht spüren, weil sie es gar nicht mehr anders kennen. Kaum jemand kommt in den nicht-dunklen Nächten der Siedlungsgebiete auf die Idee, nachts den Blick zum Himmel zu erheben. Die Menschen bewegen sich von einem beleuchteten Ort zum anderen, „und sobald es dunkel wird, knipsen sie den künstlichen Tag an“. So verschwinden die Generationen, die noch die Milchstraße von ihrem Bett aus gesehen haben und mit ihnen der Wunsch, die Sternenhaufen und Sternbilder am nächtlichen Firmament wieder sichtbar zu machen. Für Bogard ist die Tatsache, dass inzwischen Kinder aufwachsen, die niemals Sterne beobachtet haben, ähnlich gravierend, als lernten Kinder nicht mehr sprechen oder laufen.

Aussterbende Arten und gewaltige Summen

Doch es geht um weit mehr als um schwindende Lebensqualität. Die ökonomischen und ökologischen Auswirkungen des künstlichen 24-Stunden-Tags sind bisher nur noch nicht erfasst worden. „Licht ist per se das Endprodukt von rohstoffverarbeitenden und energie-verschwendenden Prozessen, die ihrerseits umweltschädlich sind“, schreibt Bogard. Die kontinuierliche Elektrifizierung der urbanen Welt kostet enorme Summen, allein die Länder der Europäischen Union verschwenden jährlich rund 1,7 Milliarden Euro für überflüssige Außenbeleuchtungen. Schon diese Tatsache allein ist für viele Kommunen Grund genug, sich um ein behutsameres und letztlich auch preiswerteres Lichtmanagement zu kümmern.

Die Strahler töten jedoch auch jede Nacht Milliarden von Insekten, inzwischen gehen Wissenschaftler davon aus, dass sich dieses Massensterben auf die Artenvielfalt auswirkt, weil diese Insekten in der Nahrungskette oder zum Bestäuben fehlen. Je höher das Licht in den Nachthimmel hineinstrahlt, desto größer sind die Auswirkungen auf Zugvögel, deren Ortungssysteme in der nächtlichen Lichterflut versagen.

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Außerdem gibt es Untersuchungen, die belegen, dass in hell erleuchteten Gegenden mehr Wildunfälle passieren, die oft genug nicht nur den Tod des Wildes zur Folge haben. Und nicht zuletzt erhärten sich Forschungsergebnisse, die nahelegen, dass das Dauerlicht beim Menschen karzinogen wirkt. Das heißt, dass Menschen, die keine natürliche Dunkelheit mehr erleben, schneller an Krebs erkranken. Auch die Auswirkungen der Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus auf die psychische Gesundheit des Menschen sind bereits bewiesen.

Inzwischen gibt es Wissenschaftler, die sich mit dem Thema beschäftigen, ebenso wie Ingenieure, Umweltschützer oder einfach Menschen, die den Verlust der Nacht nicht hinnehmen wollen. Wer je das Gefühl hatte, in einer sternenklaren Nacht regelrecht in das Himmelsgewölbe hineinzufallen, könnte eine Ahnung davon bekommen haben, wie groß dieser Verlust ist. Sie alle teilen den Wunsch, „das Bewusstsein für den Wert der Dunkelheit und für die Gefahren der Lichtverschmutzung zu schärfen“. Mit seinem gleichermaßen poetischen wie leidenschaftlichen Plädoyer reiht sich Bogard in diese Gruppe ein.

Quellen: AP/n-tv.de vom 06.08.2014

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