Russland: Der Frust geht um

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In Russland herrscht Resignation: Zu den Sanktionen kommen Ölpreisverfall und Renationalisierung. Nun begehren Konzernchefs allmählich auf.

Herman Gref ist kein Hasardeur. Zu lange schon sitzt der 50-jährige Ex-Wirtschafts-minister an den Schaltstellen der russischen Politik und Wirtschaft, um nicht zu wissen, dass Fundamentalopposition gegen den dirigistischen und isolationistischen Mainstream beruflichem Selbstmord gleichkäme. Aber mitunter holt der heutige Chef von Russlands größter und staatlicher Bank, Sberbank, zum Schlag aus. Und gibt – wie dieser Tage – schier Unerhörtes von sich.

Höre man die Leute sagen, „dass der Wechselkurs Gott sei Dank gefallen ist und der Import zum Erliegen kommt, dann zucke ich zusammen“, sagte er auf dem Investitions-forum „Russia Calling“ und erinnerte daran, dass das Land an allen Ecken vom Import abhänge: „Ich bin bereit, nicht zu essen, aber ich kann heute ohne die Segnungen der Zivilisation nicht mehr auskommen.“ In einem Aufwasch ohrfeigte Gref dann noch die politischen Entscheidungsträger, indem er einen Vergleich mit der Sowjetunion zog: „Warum ist die Sowjetunion zerfallen? Wegen der erschütternden Inkompetenz der sowjetischen Führung – vor allem auf dem Gebiet der Wirtschaft“, sagte er coram publico: „Sie haben die Gesetze zur Entwicklung der Ökonomie nicht geachtet, mehr noch, sie haben sie nicht gekannt, und das hat ihnen am Ende den Rest gegeben. (…) Man kann die Leute nicht mit dem Gulag motivieren.“

Zu viel an Negativmomenten

Das saß. So weit hatte sich seit der Ukraine-Krise in Moskau noch keiner hinausgelehnt. Jetzt, da nationaler Zusammenhalt über allem steht, pinkelt man dem Kreml nämlich nicht ans Bein. Gref war schlau genug, keine Namen zu nennen. So blieb Spielraum für Interpretationen. Sollte er am Ende gar seinen Weggefährten Wladimir Putin gemeint haben? Und sollte er ins Schwarze getroffen haben, wie der Spontanapplaus im hoch-karätigen Publikum der Konzernbosse zeigte?

Die russische Unternehmerschaft ist von Depression erfasst. Zu viel an Negativmomenten hat sich angehäuft, als dass es noch mit dem sonst verbreiteten Zynismus zu verdauen wäre: Da herrscht Stagnation, weil das ölgetriebene Wachstumsmodell ausgedient hat. Da kommt ein investitionsgetriebenes Modell nicht in die Gänge, weil das Geschäftsklima nun wieder eingetrübt ist. Da ist der Ölpreis seit Mitte Juni um über 22Prozent auf unter 90 Dollar je Barrel gefallen. Da sind die westlichen Sanktionen, die nicht nur die Er-schließung neuer Öl-Lagerstätten, sondern den Zugang zum Kapitalmarkt unmöglich machen. Und da ist als Reaktion nicht nur Russlands Importstopp auf Agrarprodukte, sondern auch der Hausarrest gegen den Milliardär Wladimir Jewtuschenkow, weil dieser sich geweigert hatte, seinen Ölkonzern Bashneft an den Staat zu übergeben.

Es war abermals Gref, der die Stimmung auf den Punkt brachte: „Der beliebteste Antrag unter den Geschäftsleuten ist der Antrag auf Emigration.“

Zumindest das Kapital wird schon vorgeschickt: In den ersten drei Quartalen hat sich der Abfluss gegenüber 2013 laut Zentralbank auf 85,2 Mrd. Dollar verdoppelt. Ausländische Direktinvestitionen in die russische Realwirtschaft (ohne Banken) sind im dritten Quartal um nur eine Mrd. Dollar gestiegen, nachdem sie seit 2006 in keinem Quartal unter vier Mrd. Dollar gelegen hatten. Dafür stiegen im dritten Quartal die Direktinvestitionen russischer Konzerne im Ausland um 21,6Prozent auf 11,8 Mrd. Dollar.

Investieren ist nicht sinnvoll

Wer rechnen kann, weiß, dass die Misere erst beginnt. Gerade die Sanktionen sind folgenschwer. „Sie breiten sich wie Metastasen aus, bis sie am Ende überall zu spüren sind“, sagt David Jakobaschwili, vormals einer der größten Agrarindustriellen und nun milliardenschwerer Immobilieninvestor, zur „Presse“: „Es ist leicht, Sanktionen einzuführen, aber schwer, da wieder herauszukommen.“

Man kann die Schuld dem Westen zuschieben, wie das in Russland nun en vogue ist. „Ihr füttert die Falken“, sagte sogar der sonst besonnene Präsident des russischen Unter-nehmerverbandes, Alexandr Schochin, jüngst im Interview mit der „Presse“. Mit den Sanktionen gegen die Staatsbanken habe der Westen übers Ziel hinausgeschossen.

Man kann statt des Westens freilich auch Putins Ukraine-Abenteuer als fatalen Ausgangspunkt einer Ereigniskette sehen, die Russlands Wirtschaft weiter unterminiert. Hinter den Kulissen schüttelt manch ein Unternehmer den Kopf über die Entscheidungen des Kremls. Manch einer bekennt auch, welchen Frust er hat. Und welche Ängste.

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„Wann immer was nicht richtig läuft, wird man bei uns Schuldige suchen“, sagt Jakobaschwili: „Und wieder könnten die sogenannten Oligarchen als Sündenböcke herhalten müssen.“ Der Fall Jewtuschenkow gelte als Fanal, dass sich der Staat und seine sanktionierten Betriebe an Privatfirmen schadlos halten, so ein russischer Vermögens-verwalter, der anonym bleiben möchte, im Gespräch: „Es fehlt einfach jeglicher Sinn, hier im Moment irgendwo zu investieren.“

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Intelligente Sanktionen des Westen wirken

Die dritte Sanktionsrunde seitens der USA und der EU gründet sich nicht auf einem totalen Handelskrieg, sondern auf punktuellen Maßnahmen. Das Ziel ist, die russische Energiewirtschaft unmittelbar unter Druck zu setzen.

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Lange Zeit wurden westliche Sanktionen in Russland bestenfalls als wirkungslos und ineffektiv gesehen. Der kürzliche Stopp der gemeinsamen Arbeiten am Bohrloch „Universitetskaja“ von Rosneft und ExxonMobil im arktischen Schelf der Karasee markiert nun einen Wendepunkt in dieser Diskussion.

Der Abbruch der Kooperation der größten Ölkonzerne Russlands und der Vereinigten Staaten ist eine Folge der dritten Sanktionsrunde der USA und der EU, die unter anderem den Export von Ausrüstung untersagt, die für Arbeiten im arktischen Schelf notwendig ist. In jüngster Zeit hat sich Russlands Sichtweise auf die Sanktionen eindeutig gewandelt. Nun ist klar geworden, dass sie durchaus spürbare Auswirkungen– auch auf den Energiesektor – haben können.

Die ersten beiden Sanktionsrunden waren eher symbolischer Natur. Eine Verschärfung der Visabestimmungen, ein Verhandlungsstopp über Russlands Beitritt zur OSZE, Einreiseverbote für eine Reihe russischer Beamter und Geschäftsleute etc.: Diese Maßnahmen waren wirtschaftlich kaum effektiv.

Darüber hinaus schien Russland immun gegen das sogenannte „Iranische Szenario“, sprich ein Verbot von russischen Ölexporten nach Europa. In der globalisierten Welt hätte Russland sein Öl ohne große Verluste auf andere Märkte umleiten können, allen voran nach Asien, auch wenn dies einige Monate in Anspruch genommen hätte. Solche Sanktionen wären kaum produktiv gewesen. Auch die Diskussion um eine Senkung der Gasimporte durch Europa lief ins Leere. Dieser Schritt hätte Jahre in Anspruch genommen, denn die europäischen Staaten sind stark von Russlands Gaslieferungen abhängig. Großangelegte Sanktionen im Gasbereich wären also ebenfalls kaum praktikabel.

Nun zeigt sich, dass es doch einen Weg gibt, der am Anfang der Auseinandersetzung von kaum jemandem in Betracht gezogen wurde. Dabei handelt es sich um „intelligente Sanktionen“, die nicht auf einem totalen Handelskrieg gründen, sondern auf punktuellen Maßnahmen. Das Ziel ist, die Energiewirtschaft unmittelbar unter Druck zu setzen, um die Produktion von Kohlenwasserstoffen zu reduzieren und somit auch Russlands Staatseinnahmen. Genau diese Maßnahmen sind der Kern der dritten Sanktionsrunde seitens der USA und der EU, die im August beschlossen und im September um weitere Maßnahmen ergänzt wurde.

Diese Sanktionen betreffen eine ganze Reihe von Russlands größten Unternehmen sowie ganze Wirtschaftsbranchen. Auf den Energiesektor wirken sich vor allem Export-beschränkungen für spezielle Ausrüstungen und Technologien aus sowie die Sanktionen im finanziellen Bereich – namentlich der verwehrte Zugang zu langfristigen Krediten.
Das Hauptziel des Embargos auf den Export von Ausrüstungen und Technologien sind nicht die laufenden Projekte, sondern Vorkommen, deren Förderung in wenigen Jahren beginnen könnte, um die sinkende Produktion der alten Lagerstätten zu kompensieren. Mit der Zeit nimmt in Russland der Anteil der schwer förderbaren Ressourcen zu. An den neuen Vorkommen beträgt dieser bereits mehr als 50 Prozent.

Bei der Förderung dieser Vorkommen ist die Kooperation mit ausländischen Unter-nehmen besonders wichtig. Nach Berechnungen des Zentrums für Rohstoffwirtschaft der Russischen Akademie für Volkswirtschaft ist Russland bei horizontalen Bohrungen zu 56 Prozent von ausländischen Servicegesellschaften abhängig. Beim Fracking beträgt die Abhängigkeit sogar 93 Prozent. Ebenfalls von essenzieller Bedeutung ist die Teilnahme ausländischer Unternehmen an Projekten im arktischen Schelf. Ohne sie könnte die Entwicklung dieser Vorkommen auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

Die Wirksamkeit der Sanktionen in diesem Bereich gründet in der starken Abhängigkeit des russischen Energiesektors von den internationalen Finanzmärkten und ausländischen Darlehen. Russische Unternehmen haben sich noch bis vor wenigen Wochen unbe-eindruckt von den finanziellen Strafmaßnahmen des Westens gegeben. Letztlich mussten sie ihren Einfluss dennoch spüren. Im August hat der Chef des Ölförderers Rosneft, Igor Setschin, die Regierung um einen Staatskredit in Höhe von 44,5 Milliarden US-Dollar gebeten – eine Summe, die in etwa der damaligen Nettoverschuldung von Rosneft entsprach. Russlands zweitgrößte Ölgesellschaft Lukoil hat ihrerseits angekündigt, Ausgaben herunterzufahren – ebenfalls wegen der Schwierigkeiten bei der langfristigen Finanzierung ihrer Darlehen.

Die Einführung solcher Maßnahmen zeigt, dass der Westen zu einem harten und langen Grabenkampf mit Russland bereit ist. Es geht nicht darum, schnell und hart zuzuschlagen, sondern vielmehr um stetig wachsenden Druck. Die „Intelligenten Sanktionen“ wurden so angelegt, dass sie die Interessen der europäischen Länder nur minimal treffen.

Grundsätzlich hat das funktioniert, denn ein Anstieg der Preise für Öl und Gas blieb aus. Vielmehr sinkt der Ölpreis seit Juli dieses Jahres. Langfristig allerdings sind die Wirkungen der Maßnahmen ungewiss. Klar ist, dass eine Verschärfung des Konflikts zwischen Russland und dem Westen gezielte Sanktionen immer schwieriger macht. Die Gesetze der Wirtschaft sind unerbittlich. Im Endeffekt leiden beide Seiten, wenn auch in unterschiedlichem Maße.

Quellen: diepresse.com/de.rbth.com vom 14.10.2014

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11 comments on “Russland: Der Frust geht um

  1. Die EU ein Handlanger der VSA und die Amis sind der tollwütige Hund Israels.
    Der russische Bär hat bisher die härtesten und eisigsten Winter überlebt, wem schaden die Sanktionen im Endeffekt mehr? Wir werden sehen. FAKT: ist, dass Europa sehr wohl von den russischen Exporten abhängt (z.B. GAS) und wenn jetzt ein seeeehr kalter Winter kommt?
    Schießt man sich gerade selbst ins Bein? (Vorsicht Doffheit kann wehtun.)

    „Die Gesetze der Wirtschaft sind unerbittlich.“ – Nun ja, richtig müsste es heißen die Tothschilds und Co. sind unerbittlich und jeder der nicht mitspielen will wird denunziert, sanktioniert und bombardiert. So ist unsere schöne freie Welt und die Dämonkratie, pardon, Dummokratie, verdammt, ich hab das Wort vergessen irgendwas mit Volk-herrschaft, moment, ach wir haben ja gar keine.
    Noch ein schönen Tag.

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