Der BND späht Ankara aus: Grund könnte ein türkisches Atomwaffenprogramm sein, an dem offenbar heimlich gearbeitet wird. Die Indizienkette führt von Brennstäben bis zu Mittelstreckenraketen.
Dort, wo Europa an den Nahen Osten grenzt, herrscht ein Mann, der mächtigen Visionen folgt. Die neue Türkei des Recep Tayyip Erdogan soll so dynamisch sein wie eine süd-ostasiatische Boom-Ökonomie, dabei beseelt von islamischer Frömmigkeit und weithin unbezwingbar wie einst das Osmanische Reich. Doch nicht anders als seine Vorgänger verbreitet auch dieser Sultan ebenso viel Furcht wie Glanz.
Als kürzlich bekannt wurde, dass der Bundesnachrichtendienst die Türkei ausspäht, gab es dafür gleich mehrere denkbare Gründe: Durch das Land am Bosporus ziehen islamistische Kämpfer in die Krisenherde im Irak und Syrien. Drogenschmuggel, Schleuserkriminalität, militante Kurden kann man in Erdogans Türkei ebenfalls auskundschaften. Doch es gibt einen noch besseren, wenn auch kaum bekannten Grund, der die Türkei zu einem legitimen Ziel deutscher Nachrichtendienste macht. Seit einiger Zeit mehren sich die Anzeichen, dass Präsident Erdogan sein Land nuklear bewaffnen will.
Der Streit um das iranische Atomprogramm und Nordkoreas Provokationen mit Nuklear-waffentests beschäftigen die Nachrichten in regelmäßigen Abständen. Dass offenbar auch die Türkei an Atomwaffen arbeitet, wird hingegen kaum öffentlich diskutiert. Die westliche Geheimdienstszene hingegen ist sich weitgehend einig darüber.
Groß angelegtes ziviles Nuklearprogramm
Modell für die Strategie der Türken ist offenbar der Iran. Teheran strebt angeblich seit über 30(!) Jahren nach Nuklearwaffen, indem es unter dem Deckmantel eines zivilen Atomprogramms heimlich Bombenstoff herstellt. Und auch die Türkei hat in den ver-gangenen Jahren ein groß angelegtes ziviles Nuklearprogramm aufgelegt. Die offizielle Begründung dafür: Die heimische Wirtschaft wachse und brauche mehr Strom.
2011 beauftragte Ankara die russische Firma Rosatom für 15 Milliarden Euro mit dem Bau eines großen Reaktorkomplexes an der Mittelmeerküste, etwa 300 Kilometer östlich der Touristenhochburg Antalya. Zwei Jahre später folgte eine ähnliche Vereinbarung mit einem japanisch-französischen Konsortium zum Preis von 17 Milliarden. Noch interessanter als diese Zahlen aber sind die Verträge – und vor allem das, was nicht darin steht.
Wenn Unternehmen einen Leichtwasserreaktor bauen, dann verpflichten sie sich normalerweise gegenüber der Regierung, das Projekt 60 Jahre lang zu betreiben, das zum Betrieb erforderliche Uran zur Verfügung zu stellen und anschließend die abgebrannten Brennelemente zurückzunehmen. Genau das boten im Fall der Türkei sowohl Rosatom als auch das japanisch-französische Konsortium an. So weit nichts Besonderes also.
Lieferung von Uran nicht vertraglich fixiert
Die Türkei aber hat in beiden Fällen darauf verzichtet, die Lieferung von Uran und die Rücknahme der abgebrannten Brennelemente vertraglich zu fixieren. Sie bestand viel-mehr darauf, dies später gesondert zu regeln. Erklärt hat Ankara dieses ungewöhnliche Manöver in den Verhandlungen nicht. Doch die Absicht dahinter ist unschwer zu er-kennen: Die türkische Führung will diese Teile des Atomprogramms selbst in der Hand behalten – und sie sind entscheidend für jeden Staat, der Nuklearwaffen entwickeln will.
Da sind zunächst einmal die Brennstäbe: Nicht nur im niedersächsischen Gorleben, sondern überall auf der Welt wird die Entsorgung von Atommüll als Problem diskutiert. Die Türkei hingegen will ihre verbrauchten Brennelemente offenkundig gar nicht her-geben. Die einzige logische Erklärung dafür: Sie will Vorbereitungen treffen für den Bau einer Plutoniumbombe.
Und das geht mit einem zivilen Atomkraftwerk so: Nach dem Abbrennen enthalten die Stäbe nur zu 90 Prozent Abfall, daneben aber neun Prozent verunreinigtes Uran und ein Prozent verunreinigtes Plutonium. Eine Anlage, mit deren Hilfe der hochradioaktive Stoff aus den Stäben isoliert werden könnte, lässt sich innerhalb eines halben Jahres bauen und hat in etwa die Größe eines normalen Bürokomplexes. Das haben Systemstudien in den USA gezeigt.
Die Bombe auf Plutoniumbasis
Die Brennstäbe könnten theoretisch auch für eine Wiederverwendung in einem zivilen Reaktor aufgearbeitet werden. Doch das ist wesentlich teurer, als neue zu kaufen. Wenn die Türkei dennoch die ausgebrannten Brennstäbe behalten will, dann gibt es dafür nur eine sinnvolle Erklärung: Sie will Material für eine Bombe auf Plutoniumbasis sammeln.
Die Lücken in den Verträgen eröffnen sogar noch einen weiteren Weg zur Bombe, nämlich direkt mit Uran. Dafür brauchte Ankara die gleiche Technologie, die auch verwendet wird, um das Erz als zivilen Reaktorbrennstoff nutzbar zu machen: die Urananreicherung.
Für den Kraftwerksbetrieb muss es auf 3,5 bis fünf Prozent angereichert werden, für Nuklearwaffen auf mindestens 80 Prozent. Der technische Vorgang ist im Prinzip derselbe. Und damit ein geeigneter Deckmantel für jene, die statt Strom in Wahrheit Atomwaffen herstellen wollen. Wenn die Türkei bei den ausländischen Reaktor-Unternehmen auf eine verbindliche Bestellung von Uran verzichtet, dann liegt die Vermutung nahe, dass sie es selbst herstellen will.
Man wolle den nuklearen Kreislauf verstehen
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Ankara die Absicht, Uran anzureichern, bisher entrüstet zurückweist. Ohnehin ist die Haltung der türkischen Regierung wider-sprüchlich. Denn trotz der Dementis besteht die Türkei vehement auf ihren angeblichen Rechten aus dem Atomwaffensperrvertrag, darunter der Urananreicherung. Der türkische Energieminister Taner Yildiz begründete die Lücken in den Verträgen mit der Notwendig-keit, den nuklearen Kreislauf „verstehen zu wollen“.
Nach Angaben des Bundesnachrichtendienstes, die einer begrenzten deutschen Öffent-lichkeit durch einen einschlägigen Informationsdienst bekannt wurden, hat der türkische Ministerpräsident Erdogan schon 2010 angeordnet, heimlich den Bau von Anlagen für die Anreicherung vorzubereiten. Nach anderen Geheimdiensterkenntnissen verfügt die Türkei schon über eine erhebliche Anzahl von Zentrifugen. Woher sie stammen, lässt sich immerhin vermuten: Pakistan.
Die Türken waren führend beteiligt an den Aktivitäten des pakistanischen Atom-schmugglers Abdul Qadeer Khan, der zwischen 1987 und 2002 Iran, Nordkorea und Libyen mit Tausenden von Zentrifugen ausstattete. Die Elektronik aller pakistanischen Anlagen stammte von türkischen Partnern. Khan hatte sogar vorübergehend die Absicht, seine gesamte illegale Zentrifugen-Produktion in die Türkei zu verlagern. 1998 bot der damalige pakistanische Ministerpräsident Nawaz Sharif den Türken sogar eine „nukleare Partnerschaft“ im Forschungsbereich an.
Nuklearwissenschaftlicher Austausch mit Pakistan
Die Türkei hatte schließlich schon beim Aufbau des pakistanischen Nuklearwaffen-programms in den 80er-Jahren geholfen. Damals wurden viele Komponenten, die nicht offen beschafft werden konnten, über die Türkei nach Pakistan geliefert. Darum über-rascht es auch nicht, wenn Geheimdienste melden, dass bis heute ein reger nuklearwissen-schaftlicher Austausch zwischen beiden Ländern stattfindet.
Doch vermutlich geht es um noch mehr: Denn A. Q. Khan hat seine Kunden nachweislich nicht nur mit Zentrifugen versorgt, sondern auch mit kompletten Blaupausen für den Bau von Kernwaffen. Ein solches Paket hochsensibler Unterlagen konnte die CIA 2003 in Libyen sicherstellen, versteckt in der Plastiktüte eines Herrenschneiders aus der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Sollte die Türkei neben dem Iran, Nordkorea und Libyen ein weiterer Kunde Khans gewesen sein, dann dürfte sie ähnliche Leistungen erhalten haben: Material und Know-how.
Ein weiteres, wichtiges Indiz in der Kette ist das türkische Raketenprogramm. Schon seit Mitte der 80er-Jahre entwickelt die Türkei Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von maximal 150 Kilometern. Damit wollte man sich offenbar nicht zufriedengeben.
Öffentliches Aufsehen erregte vor allem die Aufforderung Erdogans im Dezember 2011 an die Rüstungsindustrie seines Landes, Langstreckenraketen zu entwickeln. Zwei Monate später begann die Türkei offenbar mit der Entwicklung einer Mittelstreckenrakete. Einen Raketentyp mit einer Reichweite von immerhin schon 1500 Kilometern testeten die Türken 2012. Eine Mittelstreckenrakete mit 2500 Kilometer Reichweite soll 2015 einsatzbereit sein.
Mittelstreckenraketen als weiterer Hinweis
Auch wenn dieser Zeitplan nach allen Erfahrungen nicht eingehalten werden kann, stellt sich die Frage nach Sinn und Zweck einer derart beschleunigten Raketenentwicklung. Die Antwort ist vergleichsweise einfach: Mittelstreckenraketen eignen sich aufgrund ihrer geringen Zielgenauigkeit und Nutzlast nur für Massenvernichtungswaffen. Ein Programm zu ihrer Herstellung ist ein starker – ein sehr starker – Hinweis auf ein laufendes Nuklear-waffenprogramm.
Was aber sagt eigentlich die politische Führung der Türkei zur Option Nuklearwaffen? Wenig. Auch hier muss man Andeutungen und Auslassungen zu lesen wissen. Im August 2011 erklärte der türkische Botschafter in den USA, Namik Tan: „Wir können nicht zulassen, dass der Iran über Nuklearwaffen verfügt.“ Zwei Jahre später präzisierte der damalige türkische Präsident Abdullah Gül diese Position in einem Interview mit der Zeitschrift „Foreign Affairs“: „Die Türkei wird nicht zulassen, dass ein Nachbarland Waffen hat, über die die Türkei nicht verfügt.“
Nuklearbewaffnung massiv vorangetrieben
Zu diesem Zeitpunkt dürfte auch den türkischen Politikern klar gewesen sein, dass der Iran seine Nuklearbewaffnung massiv vorantreibt. Wenn Erdogan nachziehen würde, dann brächte ihm das keine allzu großen innenpolitischen Probleme ein. Bei einer Um-frage im Jahr 2012 sprachen sich 54 Prozent der 1500 türkischen Befragten dafür aus, im Falle einer nuklearen Bewaffnung des Iran eigene Nuklearwaffen zu entwickeln.
Deutsche Geheimdienste und Volksvertreter dürfen anderer Meinung sein. Wenn ein Bündnispartner sich erkennbar auf dem Weg zur nuklear bewaffneten Regionalmacht sieht, dann ist das ein einzigartiger Vorgang, den die deutsche Politik zur Kenntnis nehmen und auf den sie reagieren muss.
Dennoch betreibt die Bundesregierung ein doppeltes Spiel, auf der einen Seite wird der Partner Türkei ausspioniert, wegen der Bombe, auf der anderen Seite beliefert sie einen anderen Partner in der Region wie Israel, mit teils Steuergeldern finanzierten U-Booten, obgleich Israel den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet hat.
Quellen: PRAVDA TV/Public Domain/WeltOnline vom 23.09.2014
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