Die Ostsee gehört zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen im eigenen Land. In der Kieler Förde, nur 20 Meter unter der Fahrrinne, auf der täglich Frachter, Fähren, Fischer und Freitzeitkapitäne verkehren, liegt eine tickende Zeitbombe.
Genauer gesagt: 4000 scharfe Minen aus dem Zweiten Weltkrieg. Diese befinden sich offenbar in zahlreicher Gesellschaft, denn Hochrechnungen gehen davon aus, dass in der Ostsee etwa 300.000 Tonnen Munition, Bomben und Giftgas liegen. Rund 70 Jahre rosteten die Kriegsaltlasten auf dem Grund des Meeres vor sich hin.
Ferien in der Gefahrenzone?
Meinen Sommerurlaub verbringe ich oft und gerne zu einem guten Teil freiwillig daheim. Flensburg liegt an der Ostsee, ich bin also gewissermaßen zuhause, wo andere Urlaub machen.
Die Ostsee-Region zählt nach wie vor zu den beliebtesten Reisezielen in Deutschland, rund ein Drittel der Feriengäste zieht es im Sommer an die See.
Vor Kurzem habe ich wieder einmal die Naturidylle der heimischen Strände genossen, als ich wiederholt auf Besorgnis erregende Meldungen vom Meer stieß.
Dass Fischer auf ihren Touren immer häufiger die eine oder andere Fliegerbombe im Netz haben, gehört an der Küste inzwischen zur Normalität.
Doch seit einigen Jahren nehmen die Fälle zu, bei denen ganze Schiffscrews vergiftet werden. Urlauber müssen mit schweren Verbrennungen in der Notaufnahme versorgt werden. Und die Zahl der tödlichen Unfälle nimmt zu.
Versenkte Munition weltweit nach dem Zweiten Weltkrieg. Bild-Quelle: http://landofmaps.com/
Bedrohliche Altlasten
Bis heute liegen etwa 1,6 Millionen Tonnen Granaten, Minen und Bomben aus zwei Weltkriegen direkt vor der Küste in Nord- und Ostsee.
Dabei entfällt der weit größere Teil auf die Nordsee – in der Ostsee wurden allerdings die wirklich brisanten Kampfstoffe verklappt.
Der Zeitzeuge Horst Ziegler beschreibt, wie er als Zwangsarbeiter nach dem Krieg im Muna Wolgast gemeinsam mit vielen anderen die tödliche Fracht vernichten musste.
Etwa 300.000 Tonnen Senfgas, arsenhaltige Kampfstoffe wie Clark oder das als Blau-kreuz gefürchtete Adamsit wurden im Schnellverfahren „dekontaminiert“ – indem man die Bomben und Granaten einfach kistenweise in die Ostsee kippte.
Giftgas und Brandbomben
Das ging lange gut. Jahrzehnte später bringt die Korrosion diese explosiven Altlasten heute wieder zu Tage. Dabei werden die schlimmsten Nervengifte freigesetzt, Umwelt-gifte wie Quecksilber und natürlich Unmengen an Sprengstoff.
Hinzu kommt ein weiterer gefährlicher Kampfstoff, der zu einem ernsthaften Problem an den Stränden wird: Weißer Phosphor.
Weißer Phosphor war schon in der Antike als „griechisches Feuer“ bekannt und gefürchtet. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Stoff gerne und viel in Brandbomben eingesetzt.
Phosphor ist tückisch: Er beginnt bei Kontakt mit Sauerstoff zu brennen. Und kleinere Phosphorklümpchen sehen Bernstein zum Verwechseln ähnlich.
Vorsicht: Brennender Bernstein!
Nun ist die Ostsee-Region schon seit Jahrhunderten für ihren Bernstein-Reichtum bekannt. Früher wurde damit im großen Stil gehandelt, Bernstein galt als das Gold des Baltikums. Für Urlauber der beliebten Touristenziele Rügen, Fehmarn und Usedom gehört die Suche nach dem eigenen kleinen Bernstein zur guten Tradition des Strand-urlaubs, von der Oma bis zum Enkel.
Dabei geschieht es immer häufiger, dass die Menschen ein Klümpchen Phosphor aus Brandbomben finden, es für Bernstein halten und einstecken. Solange das Klümpchen feucht ist, geschieht im Glücksfall erst einmal nichts. Unvermittelt beginnt plötzlich die Hosentasche, Handtasche oder sogar die Hand zu brennen. Phosphor brennt extrem heiß und kann sich ähnlich wie das gefürchtete Napalm durch Haut und Fleisch fressen.
Meldungen häufen sich
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden mindestens 581 Unfälle mit versenkter Munition registriert, bis heute gab es 283 Todesfälle.
Die Dunkelziffer wird indes weitaus höher geschätzt, da Verletzungen von Sporttauchern oder Unfälle in der Fischerei durch versenkte Munition nicht konsequent dokumentiert werden.
Erst im Januar wurde ein 67-Jähriger mit schweren Verbrennungen durch Phosphor ins Krankenhaus gebracht und die Meldungen häufen sich.
Zum Schutz der Touristen warnen Experten der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Munition im Meer“ davor, in bekannten Phosphor-Problemgebieten nach Bernstein zu suchen bzw. dem Bernstein ähnliche Klümpchen einfach einzustecken. Drei Orte sind besonders betroffen: Tossens an der niedersächsischen Nordsee, Laboe an der Kieler Förde und die Insel Usedom in der Ostsee.
Urlaub an der Ostsee: Mit Vorsicht, aber genießen!
Für Rügen-Urlauber und Feriengäste auf Fehmarn bedeutet dies zunächst Entwarnung, dennoch ist Vorsicht geboten.
Daher sollte Fundstücke zunächst in sicherer Entfernung auf einem nicht brennbaren Untergrund – etwa einem Stein am Strand – zum Trocknen ausgelegt werden.
Dabei sollte man natürlich ein Auge auf den vermeintlichen Bernstein haben, damit sich auch kein anderer daran verletzt, falls der Stein sich doch als Phosphor herausstellt.
Die Tourismus-Zentralen und Umweltämter der betroffenen Gemeinden im Ostsee-Raum melden indes Beruhigendes. Die Wasserqualität ist an den beliebtesten Urlaubsorten weiterhin bestens geeignet.
Einerseits müssen die zuständigen Stellen das natürlich sagen, um den lokalen Tourismus nicht zu gefährden. Andererseits sollten wir zunächst davon ausgehen, dass die Umwelt-ämter ihre Arbeit trotz regionaler Verbundenheit seriös ausführen und die Gastbetriebe ihre Gäste lieber frühzeitig warnen und eine leichte Einnahmensflaute in Kauf nehmen, als anschließend die Schmerzensgelder an nie wiederkehrende Ferienfrustrierte zu zahlen.
Kaum zu glauben, aber wahr: Es tut sich etwas!
Die Problematik um die Munitionsaltlasten wurde längst als äußerst dringlich auf Länder- und Bundesebene erkannt. Die Menschen haben erkannt, dass es nicht zuletzt auch aus wirtschaftlicher Sicht wichtig ist, die Ostsee von den Altlasten zu befreien.
Das liegt allerdings auch daran, dass weitere Belastungen das Baltische Meer zusätzlich plagen. Dazu zählen Überdüngung, Verseuchung durch Kunststoff und der starke Schiffsverkehr. Viele Faktoren bedrohen die Ostsee und damit Lebensraum für Mensch und Tier.
Auf vielen Ebenen entwickelt sich daher ein zunehmend starkes Engagement bei den Bewohnern der Küste und eine länderübergreifende Zusammenarbeit der Ostsee-Anrainer.
Dazu gehören Sammelaktionen von Plastik am Strand ebenso wie die nachhaltige Entsorgung von giftigen und hochexplosiven Gefahrenstoffen.
So haben nicht zuletzt die Bürger und Umweltverbände vor Ort dafür gesorgt, dass Vieles in Angriff genommen wird – im Großen, wie im Kleinen.
Videos:
„Versenktes Gift – Wie Chemiewaffen das Meer verseuchen“
Arte-Doku vom 25. Februar 2014
„Zeitbomben im Meer“
http://www.youtube.com/watch?v=wvQ8d6jTSwY
Link-Tipp:
Bund-Länder Ausschuss Nord- und Ostsee, Expertenkreis Munition im Meer:
„Munitionsbelastung der deutschen Meeresgewässer“
http://www.munition-im-meer.de, führt zu http://www.schleswig-holstein.de/UXO/DE/UXO_node.html vom 26. Juli 2014
Quelle: huffingtonpost.de vom 23.08.2014
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