Gera ist pleite: Einmaliges finanzielles Elend in Deutschland

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Das einst reiche Gera ist abgestürzt: Die Stadtwerke und die Verkehrsbetriebe haben Insolvenz angemeldet, der Kulturbetrieb ist fast tot. Zu allem Überfluss treiben externe Berater die Schulden hoch.

Im Herbst beginnt im Stadttheater Gera – immerhin einem Fünfspartenhaus, dem einzigen dieser Art in Thüringen – die neue Spielsaison. Zur Eröffnung gibt das Ensemble den „Tod eines Handlungsreisenden“. In dem Stück von Arthur Miller geht es um Willy, seinen großen Traum von Aufstieg und den großen Albtraum vom Abstieg. „Willys Leben“, wird das Stück angekündigt, „findet in einer Welt statt, in der sich für ihn Vergangenheit und Gegenwart vermischen.“ Er flüchtet sich in Träume von früheren Zeiten, in denen noch alle Möglichkeiten offen schienen.

Für die Bürger Geras gibt es genug Anlass, das Theaterstück zumindest ein bisschen persönlich zu nehmen. Denn irgendwie geht es in dem Stück auch um die Stadt selbst. Gera hat lange den Traum gelebt: Die Textilwirtschaft hatte es sehr wohlhabend gemacht, noch heute zeugen mehr als 100 Stadtvillen vom alten Reichtum. In den 40er-Jahren gehörte Gera zu den zehn reichsten Städten Deutschlands. Heute ist die Stadt so pleite, wie eine Stadt nur pleite sein kann.

Zuerst meldeten die Stadtwerke Insolvenz an, nachdem Ende Juni das Thüringer Landes-verwaltungsamt der Stadt weitere Kredite verweigert hatte. Der Stadtrat verhinderte gerade noch den Notverkauf von 7000 kommunalen Wohnungen. Im Juli folgten dann die Geraer Verkehrsbetriebe. Das ist einmalig in Deutschland.

Der Schuldenberg, den die Stadtwerke angehäuft haben, ist beeindruckend hoch: Mit 224 Millionen Euro steht die Holding in der Kreide. Dass es so gekommen ist, überrascht nicht wirklich. Schon seit 2010 gab es keinen bestätigten Haushalt mehr. Die 300 Mit-arbeiter der Stadt erhalten zunächst Insolvenzgeld. Gewerkschafter von Ver.di und DGB haben erste Unterschriften für den Erhalt der insolventen Geraer Stadtwerke gesammelt. Sie warben am Montag in der Innenstadt für ihre Liste.

„Man hätte kleinere Brötchen backen können“

„Das öffentliche Leben in Gera wird weitergehen“, ließ Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht verlauten. Die CDU-Politikerin, mitten im Wahlkampf für die Landtagswahl im September, sagte umfassende Hilfe des Landes zu, erwarte jedoch eine intensive Aufklärung, warum die Stadtwerke nun einen Insolvenzverwalter bestellt haben.

Ein großer Teil dieser Aufklärungsarbeit findet am wirklich schönen Marktplatz von Gera statt, im ersten Stock des Alten Rathauses. Dort liegt das Büro von Viola Hahn. Sie ist seit 2012 parteilose Bürgermeisterin von Gera. Mit Zahlen kennt sie sich gut aus, vor ihrer Wahl ins oberste Stadtamt leitete sie die Finanzämter von Jena und Gera. Ihr Job ist es, jetzt nicht die Nerven zu verlieren.

Was denn nun sei, mit dem öffentlichen Leben in Gera? Die Frage hat sie in den letzten Wochen häufiger beantwortet, sie kam von besorgten Bürgern, Medien und der wütenden Opposition. „Die Busse und Straßenbahnen werden noch fahren“, sagt sie mit ruhiger Stimme. „Es wird noch Strom, Gas, Fernwärme und Warmwasser geben. Der Müll wird weiter abgeholt. Und um seine Wohnung muss sich auch niemand Sorgen machen.“

Ungewöhnliche Worte bisher für eine Bürgermeisterin in mitteleuropäischen Breiten-graden. Was falsch gelaufen sei in der Stadt? Sie sagt: „Man hätte kleinere Brötchen backen können. Die können ja auch gut sein.“ Sie sagt aber auch: „Gera wird viel zu oft schwarz dargestellt“.

Sämtliche Kultureinrichtungen spontan geschlossen

Das finanzielle Elend begann mit einer Idee, mit der die Verantwortlichen den Stadt-haushalt vor den Bilanzen der Versorgungsunternehmen bewahren wollten. Deswegen gründete man die Stadtwerke-Holding. Die Stadt Gera fungierte als einziger Gesell-schafter. Das ist an sich ein in vielen Kommunen übliches Verfahren.

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Die Theorie: Die Tochterunternehmen der Holding können sich gegenseitig quer-finanzieren. Die Verkehrsbetriebe zum Beispiel, die auf Zuschüsse angewiesen sind, sollten von den Gewinnen aus dem Energiesektor profitieren. Das Problem an der Sache: Der Energiesektor musste bereits im Jahr 2000 teilprivatisiert werden. Der französische Energiekonzern GDF Suez griff zu und ließ sich eine vorteilhafte Klausel in den Vertrag schreiben: Gewinne werden mit der Stadt geteilt, das Verlustrisiko blieb jedoch an der Stadt Gera hängen.

Die Folge: Die Stadt musste Geld in den Verbund einzahlen, weil aus der Energiever-sorgung nichts mehr zu holen war. Die gewinnbringenden Stadtwerke-Töchter mussten immer nur Geld abliefern. „Das konnte auf Dauer nicht gut gehen“, sagt Viola Hahn, „Es ist ja immer wichtig, in einem Konzernverbund alle zu bedenken. Das ist leider nicht geschehen.“ Und: „Den Mitarbeitern ist kein Vorwurf zu machen.“

Das alles überrascht in Gera nicht wirklich. Im November 2013 setzte die Stadt ein Alarmzeichen ab und schloss spontan sämtliche Kultureinrichtungen der Stadt. Unter dem Druck der Kommunalaufsicht wurde ein Konsolidierungskonzept beschlossen, mit dem Gera in zehn Jahren 100 Millionen Euro sparen will und das der Stadt praktisch keinerlei Investitionen mehr erlaubt. Das Haushaltssicherungskonzept der Stadt Gera für 2014 beruht auf einem Kassenkredit von 59 Millionen Euro.

In Gera läuft vieles nur noch falsch

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Da hilft nur noch sparen. Als die Bürgermeisterin ihr Konzept vorstellte, fasste sie zusammen, was ihrer Ansicht nach in diesem Sparprozess falsch läuft: „Wir bilden keine jungen Menschen mehr aus. Wir schließen zwei Drittel der Museen und verkaufen das Museumsgut. In den verbleibenden Museen gibt es keine neuen Ausstellungen. Wir schließen den Tierpark und verkaufen die Tiere.“

Ob sie sich das Bürgermeisteramt so vorgestellt hatte? „Sicherlich hatte ich mir einiges anders vorgestellt. Ich wusste, es wird schwierig.“ Schwierig ist vermutlich noch unter-trieben. Gera hat bereits 100 Millionen Euro Schulden. 40.000 Menschen haben der Stadt seit dem Mauerfall den Rücken gekehrt, das sind etwa ein Drittel der Einwohner von 1989/90. Die Infrastruktur ist aber geblieben.

„In letzter Zeit hat sich aber gezeigt, dass ganz viele Probleme noch verdeckt waren, die jetzt zu Tage gefördert werden.“ Zu den Problemen, die da gerade ans Licht kommen, gehört unter anderem das der externen Gutachter. Als sich die Pleite der Stadtwerke abzeichnete, beschloss der Vorstand, die Misere extern evaluieren zu lassen.

Nur beim Flugplatz wird die Bürgermeisterin emotional

Natürlich arbeiten solche Berater von außen nicht umsonst; das ist auch Kritikern dieser Idee klar. Vielleicht war es sogar eine gute Idee, Profis auf die Bilanzen gucken zu lassen. Die Berater von Ernst & Young jedoch, die man mit der Betrachtung der klammen Kassen beauftragte, belasteten diese zunächst einmal mit einer Million Euro. Das ist immerhin ein Sechstel der Neuverschuldung des letzten Jahres. Die ganze Angelegenheit liegt jetzt bei der Staatsanwaltschaft.

„Es ernüchtert dann schon, wenn man dauernd neue Probleme findet“ sagt die Bürger-meisterin. „Offenbar ahnten auch Stadtratsmitglieder, die schon viele Jahre länger als ich in der Kommunalpolitik sind, nicht das ganze Ausmaß.“ Viola Hahn zeigt, was es heißt, eine Krise stoisch zu meistern.

Nur bei der Sache mit dem Flugplatz von Gera, da wird Viola Hahn emotional. Der Flug-platz ist das schwächste Glied im Verbund der Verkehrsbetriebe. Erst vor wenigen Jahren baute man dort die Landebahn aus, „eine EU-Richtlinie“, wie ein Mitarbeiter erklärt. Ansonsten hätte man den Betrieb einstellen müssen. Für 20 Euro Gebühr können Sportflieger hier landen. „Wollen Sie den Flugplatz kaufen?“, fragt die Bürgermeisterin süffisant. Nein, möchte man nicht.

Quelle: WeltOnline vom 19.08.2014

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