Es war nur eine Frage der Zeit: Das extrem starke Erdbeben vom 1. April dieses Jahres in Chile entlud Spannungen, die sich über Jahrzehnte aufgebaut hatten. Eine detaillierte Analyse von Sensordaten aus der Erdbebenregion zeigt nun, wie eine Serie von Vorbeben das große Hauptbeben ermöglichte. Die Wissenschaftler geben aber noch keine Entwarnung: Es steckt noch genug Spannung für ein weiteres großes Erdbeben in der seismischen Lücke, schreiben die Forscher im Magazin „Nature“.
Vor Südamerikas Westküste stoßen die pazifische Nazca-Platte und die Südamerika-nische Platte gegeneinander. Entlang der Küste taucht der Pazifikboden unter Süd-amerika ab und baut dabei gewaltige Spannungen auf, die sich durch Erdbeben entlädt. Zwei der zehn stärksten Erdbeben aller Zeiten ereigneten sich 2010 und 1960 an dieser Subduktionszone. Im Verlauf von rund 150 Jahren bricht der gesamte Plattenrand vom Süden in Patagonien bis nach Panama im Norden mit großen Erdbeben einmal komplett durch. Dieser Zyklus ist zurzeit bereits durchlaufen – mit der Ausnahme eines letzten Segments, der seismischen Lücke westlich von Iquique in Nordchile.
Seit dem letzten großen Beben im Jahr 1877 herrschte in dieser Lücke geradezu un-natürliche Ruhe – bis zum 2. April 2014: Beim Hauptbeben mit einer Stärke von 8,1 auf der Moment-Magnituden-Skala brach das Mittelstück der seismischen Lücke auf einer Länge von rund 150 Kilometern. Sechs Menschen starben bei dem Beben, über 13.000 Häuser stürzten ein, und der ruckende Meeresboden verursachte einen Tsunami von über zwei Metern Höhe.
(Animation der Erdbebenserie in der seismischen Lücke von Iquique vom 17.03.2014 bis zum 03.04.2014)
Seismische Lücke weiterhin nicht geschlossen
Gerade weil an diesem Punkt ein großes Erdbeben nur eine Frage der Zeit war, hatte ein internationales Team von Forschern am Integrated Plate Boundary Observatory of Chile (IPOC) die Region schon länger mit Seismometern und GPS-Messungen überwacht. Diese Sensoren übermittelten die Daten in Echtzeit an die Wissenschaftler. Das Iquique-Erdbeben ist dadurch das bislang am besten aufgezeichnete Subduktionserdbeben weltweit.
Diese Daten zeigen, dass das Hauptbeben im April längst nicht alle aufgebaute Spannung löste: Die Platten bewegen sich seit dem letzten Beben im Jahr 1877 mit einer Geschwindigkeit von rund 6,5 Zentimetern im Jahr aufeinander zu, wie Studienleiter Bernd Schurr vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam (GFZ) berichtet. Bei der daraus berechneten Spannung „bleibt trotz des Iquiquebebens mit Mw 8,1 immer noch Platz für ein weiteres Starkbeben mit Stärke bis zu Mw 8,9.“
Das gilt allerdings nur für den Fall, dass die ganze seismische Lücke auf einmal bricht. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Riss durch das Iquique-Beben eine Barriere zwischen den noch ungebrochenen Bereichen im Norden und Süden bildet. Dennoch ist das nächste große Beben nur eine Frage der Zeit.
(An der Plattengrenze staut sich im Laufe der Zeit Spannung auf (oben). Wird sie zu groß, bricht das Gestein und ein Beben ist die Folge)
Vorbeben lockerten Platten
Die neuen Daten ermöglichen auch eine genaue Analyse des Erdbebenverlaufes. Bereits ein Dreivierteljahr vor dem großen Bruch begann demnach eine Serie von Vorbeben, erläutert Schurr: „Die Vorbeben brachen in mehreren Schwärmen, die sich von Süden nach Norden fortpflanzten, den Rand des später im Hauptbeben gebrochenen zentralen Stücks.“ Das größte dieser Beben erreichte zwei Wochen vor dem Hauptbeben eine Stärke von 6,7.
Die beiden verkanteten Platten haben sich unter den Vorbeben immer weiter gelockert, bis sie schließlich im starken Iquique-Beben endgültig nachgaben. Die IOPC-Daten zeigen auch, dass sich dieser Prozess zuvor schon mehrere Jahre hingezogen hatte.
Da die seismische Lücke von Iquique weiterhin nicht geschlossen ist, bauen die Forscher das IPOC weiter aus. Bisher wurden über 20 neue Multi-Parameter-Stationen errichtet. Diese bestehen aus Breitbandseismografen, Beschleunigungsmessgeräten, kontinuier-lichen GPS-Empfängern, magneto-tellurischen Sonden, Dehnungsmessgeräten und Klimasensoren. SIe übertragen ihre Daten in Echtzeit zum GFZ nach Potsdam. Auch die Europäische Südsternwarte auf dem Cerro Paranal ist an diesem Observatoriennetzwerk beteiligt.
Quellen: GFZ/scinexx.de vom 14.08.2014
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