Angeführt von Frankreich und Italien, wollen viele EU-Staaten die verhasste Sparpolitik beenden. Dabei ist die Haushaltslage vielerorts noch immer dramatisch.
Die kollektive Haftung für die Staatsschulden der europäischen Krisenländer zeigt Wirkung: Die Anleihezinsen der überschuldeten Staaten in der Euro-Zone sind dramatisch gefallen. Doch ein Grund zur Freude ist das nicht, denn nun lässt sich die Schuldenlawine überhaupt nicht mehr stoppen.
Blicken wir zurück: Zum Ausgleich für die Euro-Rettungspakete hatte Deutschland 2012 den Fiskalpakt durchgesetzt. Zusätzlich zur Einhaltung der Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mussten sich die Schuldenländer verpflichten, ihre Schulden pro Jahr um ein Zwanzigstel des jeweiligen Abstandes zu einer Schulden-quote von 60 Prozent zu senken.
Davon ist nun keine Rede mehr, denn bei niedrigen Zinsen ist es verlockend, mehr Schulden zu machen. Nachdem die Zwanzigstel-Regel faktisch gekippt ist, wollen europäische Politiker jetzt sogar an die Drei-Prozent-Grenze heran. Man will sie aus-höhlen, indem etwa Ausgaben für Militär, Bildung und Forschung nicht mehr bei den Staatsausgaben mitgerechnet werden.
Derartige Tricksereien sind kein Einzelfall. Schon seit Längerem wird rund um die Schuldenfrage manipuliert. So behauptete die EU-Kommission kürzlich, Griechenland habe 2013 einen Primärüberschuss von 0,8 Prozent vom BIP erzielt – während die EU-Statistikbehörde Eurostat ein Primärdefizit von 8,7 Prozent auswies. Das Primärdefizit wird von allen Ämtern der Welt als jenes Haushaltsdefizit definiert, das entsteht, wenn die Zinszahlungen des Staates nicht in die Rechnung einfließen.
Die EU-Kommission benutzte aber ihre eigene Definition und ließ als einmalig deklarierte Ausgaben auch noch weg. Als das ifo Institut die unterschiedlichen Definitionen öffentlich machte, entfernte Eurostat noch am gleichen Tag die Variable „Primärdefizit“ sämtlicher EU-Länder aus seiner Datenbank. Pech nur, dass der Anhang der Frühjahrsprognose der EU-Kommission, die Anfang Mai herauskam, noch immer die Eurostat-Zahlen zum Primärdefizit enthielt.
Die Schulden des ersten Rettungsschirms EFSF, der 2010 installiert worden war und drei Jahre lief, wurden den Euro-Ländern korrekterweise anteilig angerechnet. Für Deutschland entstand dadurch bis Dezember 2013 eine zusätzliche Staatsschuld von 52 Milliarden Euro – umgerechnet rund 1,9 Prozent vom BIP. Beim zweiten (permanenten) Rettungsschirm ESM war man schlauer. Dieser wurde als Schattenhaushalt konstruiert, dessen Schulden den Mitgliedsländern nicht zugerechnet werden – obwohl sie dafür haften. Bei voller Ausnutzung des ESM-Finanzrahmens darf Deutschland 168 Milliarden Euro an Staatsschulden verstecken. Auf ähnliche Weise wurde Deutschlands Anteil (rund neun Milliarden Euro) an den 46 Milliarden Euro Schulden verborgen, die die EU für ihren Rettungsschirm EFSM hat machen können.
Künstliches Plus im BIP
Die heimliche Devise bei all dem scheint zu sein: Wenn die Banken Schattenhaushalte unterhalten, dann dürfen wir es auch. Ein großes deutsches Wirtschaftsforschungsinstitut hat nun sogar vorgeschlagen, in Luxemburg einen weiteren staatlichen Schattenhaushalt der EU-Länder zur Finanzierung neuer privater Investitionen einzurichten.
Als die Forderungen der Staatengemeinschaft gegenüber Griechenland im Herbst 2012 bis zur Mitte des Jahrhunderts gestreckt und für zehn Jahre zinsfrei gestellt wurden, entstand der Staatengemeinschaft ein Verlust mit einem Gegenwartswert von 43 Milliarden Euro. Auf Deutschland entfielen 13 Milliarden Euro. Hätte man Griechenland den Nachlass in Form eines offenen Schuldenschnitts gewährt, hätten ihn die nationalen Finanzminister als defizitvergrößernde Ausgabe verbuchen müssen. Der deutsche Finanzierungssaldo hätte 2012 bei minus 0,4 Prozent statt bei plus 0,1 Prozent vom BIP gelegen. Für die Beruhigung der Öffentlichkeit schien die Verschleierung der wirklichen Lasten die bessere Variante zu sein.
Und es geht so weiter: 2013 erließen das EU-Parlament und der Rat der EU eine Ver-ordnung, die den EU-Ländern ab September 2014 vorschreibt, Ausgaben für Forschung und Entwicklung statt als Vorleistungen als Endprodukte in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu verbuchen. Dadurch und durch andere konzeptionelle Änderungen wird das deutsche BIP im Vergleich zu dem Wert, den es sonst gehabt hätte, rechnerisch um etwa drei Prozent angehoben. Die Staatsschuldenquote sinkt hingegen auch rück-wirkend um etwa 2,3 Prozentpunkte.
Das Bestreben der Politik, den Wählern zulasten zukünftiger Generationen immer mehr Geschenke zukommen zu lassen, ohne es verbuchen zu müssen, ist so übermächtig geworden, dass selbst Hardliner schwach werden. Kürzlich erklärte Ex-Finanzminister Theo Waigel in einem Interview, es sei keine schlechte Idee, die Staatsausgaben für Bildung und Forschung zu den investiven Ausgaben zu rechnen.
Wer fragt schon danach, dass dies Artikel 115 des Grundgesetzes aushebeln würde, der neue Schulden an die Höhe der staatlichen Investitionen koppelt?
Quellen: hartgeld.com/wiwo.de vom 07.07.2014
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