Satelliten haben Tausende großer Wasserwirbel in den Ozeanen entdeckt. In ihnen sammeln sich Müll und führerlose Schiffe. Neue Daten zeigen, dass die Strudel auch das milde Klima Europas begründen könnten.
Seefahrer erkennen Eddies am würzigen Geruch und ihrer grünen Trübung – Seetang und Algen sammeln sich in den Wirbeln im Meer, die Hunderte Kilometer breit werden. Sie saugen ein, was sie zu fassen kriegen: Mitten im Pazifik entstehen so riesige Müllwirbel mit Fischernetzen, Plastik und Holzstücken. Tausende Spielzeugenten, die aus einem Schiffscontainer gefallen waren, drehten sich jahrelang gemeinsam durchs Meer.
(Bild: Analyse eines Eddies: Die Farben symbolisieren die Drehgeschwindigkeit des Wirbels. Das Zentrum eines Eddies liegt rund einen halben Meter tiefer als das Meer außerhalb des Wirbels)
Auch führerlose Schiffe geraten ins Schlingern. Zwar werden sie nicht verschluckt wie in griechischen Sagen. Doch Boote ohne Antrieb trudeln langsam spiralförmig ins Zentrum eines sogenannten Eddies, das rund einen halben Meter tiefer liegt als das Meer außer-halb des Wirbels.
Die Wirkung solch großer Meereswirbel werde erheblich unterschätzt, berichten nun Forscher im Wissenschaftsmagazin „Science“. Eddies begründen der Studie zufolge womöglich gar den Reichtum Nordeuropas.
(Golfstrom: Das Ozeanförderband treibt warmes Wasser aus den Tropen nach Norden, wo es die Luft wärmt. Zudem schwemmen aber auch zahlreiche Wirbel das Tropen-wasser voran. Die Kraft dieser Eddies sei größer als angenommen)
Wirbel Bob verblüffte Forscher
Ihren ersten großen Wirbel im Meer tauften die Meeresforscher Bob. Sie entdeckten ihn im Februar 1977 noch vor seiner Geburt im Atlantik. Bob schlängelte als Mäander im Golfstrom vor der Küste der USA, seine Biegungen wurden immer extremer. Im März schälte er sich als eigenständiger Wirbel aus dem Golfstrom, kehrte im April zurück, kreiste einen Monat nebenher.
Im Mai 1977 wurde Bob erwachsen, als 80 Kilometer breiter Wirbel kreiste er im Atlantik umher, sein Kurs verlief entgegengesetzt zum Golfstrom. Im September ordnete er sich schließlich wieder in den Golfstrom ein und löste sich Mitte des Monats auf. Spätestens seit Bob wissen Forscher, wie Eddies entstehen: Die Drehung der Erde zwingt Meeresströme in Kurven, die sich immer weiter krümmen, bis sie rotierende Kreise bilden.
(Der Agulhasstrom vor Südafrika: Auch aus dieser mächtigen Ozeanströmung lösen sich viele große Wirbel (rote Farbe zeigt hohe Strömungsgeschwindigkeit))
Bob mussten Meereskundler noch vom Forschungsschiff aus verfolgten. Mittlerweile verraten sich die großen Wirbel auf Satellitenbildern – durch ihre Mulde im Zentrum. Radarsatelliten schicken elektromagnetische Wellen zur Erde. Je länger die Strahlen unterwegs sind, desto größer die Distanz. Diese Unterschiede in der Laufzeit der Strahlen enthüllen Beulen und Dellen auf dem Meer.
Wohlstand aus tropischem Wasser
Die Menge an großen Wirbeln auf den Ozeanen habe sie verblüfft, berichten Forscher um Zhenguang Zhang von der Ocean University of China in Qingdao nun in „Science“. Ihre Auswertung von Satellitendaten und Bojenmessungen aus zehn Jahren habe gezeigt, dass alle Eddies zusammen stets die 200fache Wassermenge voran wirbelten, die der Amazonas ins Meer schwemmt.
Ein Ergebnis mit Folgen: Bislang schien es, als trieben vor allem die großen Strömungen, die sogenannten Ozeanförderbänder, das Wasser über die Meere. Der Golfstrom etwa schwemmt warmes Wasser aus den Tropen ins Nordmeer, wo es die Luft wärmt. Deshalb herrscht in Nordeuropa milderes Klima als andernorts in diesen Breiten – statt karger Tundra gedeiht hier üppige Vegetation. Der Ursprung unseres Wohlstands liegt also auch im tropischen Ozean.
Die neue Studie aber zeigt, dass die Wärme nicht nur mit dem Ozeanförderband, sondern in großem Ausmaß auch mit den Eddies transportiert wird – auch sie haben demnach erheblichen Anteil am günstigen Klima Nordeuropas.
(Wärmetransport des Agulhasstroms: Wärme aus dem Indischen Ozean)
Rotierende Kegel aus Wasser
Andere Wissenschaftler sind nicht sonderlich überrascht von den neuen Ergebnissen. „Auch frühere Messungen hatten bereits gezeigt, dass die Wirbel einen erheblichen Anteil am Wassertransport haben“, sagt Martin Visbeck vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Es könnte außerdem sein, dass die Studienautoren die Wassermenge überschätzt hätten, die mit einzelnen Eddies transportiert werde, meint Jin-Song von Storch, Ozeanforscherin am Max-Planck-Institut für Meteorologie.
Gemächlich bewegen sich die Eddies voran; mit etwa fünf Kilometern pro Tag. Ihre Ausdehnung in die Tiefe macht sie so bedeutend: Bis zu einen Kilometer tief reichen die umgedrehten, rotierenden Kegel aus Wasser. Es sei äußerst kompliziert, solche keulenförmigen Gebilde zu berechnen, gibt Jin-Song von Storch zu bedenken.
Eddies könnten viele Rätsel der Ozeane erklären: Wohin schwappen Ölteppiche und Müll? Wohin treiben Nährstoffe und im Gefolge Fische? Und vor allem: Wohin schwemmt das warme Wasser?
Noch rätseln Wissenschaftler, wie groß der Wasseraustausch der Eddies mit ihrer Umgebung ist: Hält ihre Drehung womöglich das Wasser über Tausende Kilometer zusammen, sodass sie nur wenig verlieren? In dem Fall dürften die Wirbel umso größere Mengen an Nährstoffen, Salz, Müll und Wärme von einer Küste zur anderen tragen. Das Geheimnis ihrer Macht liegt weiterhin in den dunklen Tiefen der Ozeane.
Video: Animation der Riesenwirbel im Süden der Erde
Quellen: AAAS/SpiegelOnline vom 28.06.2014
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