Die Welt ist das Bild, das wir uns von ihr machen (Hörbuch & Video)

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Die „Mappa Mundi“ verzeichnete das Paradies, der Name „America“ wurde von einem deutschen Kartografen geboren. Er bereute das später, wie ein faszinierendes neues Buch namens „Karten!“ erzählt.

Als Robert Louis Stevenson 1881 mit seiner Familie nach Schottland fuhr, war er 30 Jahre alt und bereits ein schwerkranker Mann. Die Ärzte hatten Tuberkulose diagnostiziert, und nach einem Aufenthalt in Davos hatte er sich entschlossen, den Sommer in den schottischen Highlands zu verbringen.

(Bild: Hic sunt leones: Mittelalterliche Karten waren voll von Bildern und Texten biblischer und klassischer Themen, Tierdarstellungen inklusive. Und die Tiere kehren im Sinne der Propaganda auch später zurück, wie diese Karte aus dem russisch-türkischen Krieg 1877/78 zeigt)

Es regnete meistens und Stevenson beschäftigte sich viel mit seinem Stiefsohn, dem 12-jährigen Lloyd. Eines Tages malte Lloyd die Karte einer Insel, oder – wie Stevenson später behauptete – Stevenson half Lloyd beim Malen und zeichnete dabei die Insel selbst. Auf jeden Fall fügte Stevenson der Inselkarte bald Ausschmückungen und Namen hinzu. Da gab es plötzlich den „Fernrohrhügel“ und die vorgelagerte „Skelettinsel“. Auch gab Stevenson der Fantasiekarte einen Namen: „Treasure Island“ – die Schatzinsel.

Diese Karte lieferte dem Autor Inspiration für seinen ersten Roman. „Die Gestalt der Insel befruchtete meine Fantasie außerordentlich“, schrieb er später. „Da waren Hafenplätze, die mich entzückten wie Sonette …“ Der Roman „Die Schatzinsel“, der zunächst in Fortsetzungen in einer Zeitung erschien, wurde ein großer Erfolg und machte seinen Schöpfer weltberühmt.

Kurz vor seinem Tod riet Stevenson dem angehenden Schriftsteller, sich wie er beim Schreiben mit einer Karte auszurüsten: „Selbst bei Stellen, die sich in seiner Fantasie befinden, tut er im Anfang gut, sich mit einer Karte zu versehen. Bei ihrem Studium treten Beziehungen auf, woran er vorher nie gedacht hat.“

Wo sind wir hier eigentlich?

Jede Karte, sei sie nun ausgedacht oder unter großen Widrigkeiten der Wirklichkeit abgerungen, birgt eine Geschichte, erzählt mehr als die bloße Position der darauf verzeichneten Orte. Diese Erkenntnis ist der Ausgangspunkt für das Buch „Karten!“ des britischen Journalisten Simon Garfield.

Garfield erzählt darin sozusagen die Geschichte der Kartierung der Welt, wobei auch heutzutage unbeachtete „Alltagskarten“ Aufnahme fanden, wie zum Beispiel die anfangs als „Schaltplan“ verlachte Karte der Londoner U-Bahn, von der seit ihrer Einführung 1933 wahrscheinlich mehr als 500 Millionen Stück gedruckt worden sind.

Schon im Altertum gab es ein Interesse, nicht nur zu wissen, wer, sondern auch wo man war, und es entstanden die ersten Weltkarten. Stellte sich der griechische Philosoph Anaximander die Erde noch als einen Zylinder vor, auf dessen flacher Oberfläche die drei Kontinente Europa, Afrika („Libyen“ genannt) und Asien inmitten eines sie umgebenden Ozeans ruhten, wusste sein Landsmann Ptolemäus bereits von der Kugelgestalt der Erde.

Die Städteliste des Marinos von Tyros

Ptolemäus bezog die Kenntnisse für die Details seiner Weltkarte aus der umfangreichen Bibliothek von Alexandria, die das damalige Wissen der Welt aufbewahrte, sowie von Kollegen wie zum Beispiel Marinos von Tyros, dessen 8000 Orte umfassende Städteliste er nutzte.

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War die Karte relativ genau, was die bekannte Welt anging, so konnte Ptolemäus der Versuchung nicht widerstehen, weiße Stellen auf seiner Karte nicht wie seine Vorgänger einfach weiß zu lassen, sondern sie mit Spekulationen, sprich Erfindungen zu füllen. Diese Praxis sollte in den folgenden Jahrhunderten noch zahlreiche Nachahmer finden und führte, wie Garfield schreibt, erstaunlicherweise dazu, „dass ehrgeizige Seefahrer – unter ihnen auch Kolumbus – an Orte gelangten, die nie ihr Ziel waren.“

Im Mittelalter ist das kartografische Wissen der Antike verschwunden. Längen- und Breitengrade, Koordinaten und Raster fehlen zum Beispiel auf der „Mappa Mundi“ aus dem englischen Hereford, aber wozu hätte man so etwas Profanes auch benötigt? Das Zentrum dieser Weltkarte aus dem späten 13. Jahrhundert ist Jerusalem und um dieses Zentrum der Christenheit ist der Rest der Welt angeordnet. Alles ist da, nur nicht unbedingt dort, wo es sein soll. Und es gibt auch Orte, die wir heute vergeblich auf einer Weltkarte oder einem Globus suchten: das Paradies und die Arche Noah zum Beispiel.

Alles geschieht gleichzeitig

Zudem ist die Karte voll von Bildern und Texten biblischer und klassischer Themen, Einhörner und Burgen säumen das Nildelta, alles geschieht gleichzeitig, hier der Turmbau zu Babel, dort die Landung der Arche auf trockenem Land, die Karte ist eine Art Wimmelbild des Mittelalters. „Heute wäre ein Drogentest fällig, wenn man so etwas malen würde“, meint Garfield.

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Erst in der Renaissance wird das antike Wissen um die Kartografie wiederentdeckt. 1507 schuf der deutsche Kartograf Martin Waldseemüller eine Weltkarte, auf der die kurz zuvor von Kolumbus entdeckte Neue Welt als eigener Kontinent in ihren Umrissen bereits erstaunlich treffend dargestellt ist.

Diesen Kontinent nannte Waldseemüller indes nicht „Kolumbia“, sondern „America“, nach dem Florentiner Amerigo Vespucci, der Südamerika 1501/02 bereist und seine Erlebnisse in seinem Bericht „Mundus Novus“ dargelegt hatte. Später versuchte Waldseemüller diese Namensgebung zwar wieder rückgängig zu machen, doch es war zu spät: Der Name „America“ war buchstäblich nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

Ein Name für den höchsten Berg der Welt

Mit dem Zeitalter der Entdeckungen beginnt auch die große Zeit der Kartografie, und Garfield erzählt davon mit einer ansteckenden Begeisterung, dass man selbst gerne den alten Weltatlas wieder aus dem Bücherregal wuchten möchte.

Die Vermessung der Welt ist bei Garfield allerdings vor allem eine britische Angelegen-heit. Alexander von Humboldt wird nur in einer Fußnote erwähnt, dafür widmet Garfield dem „Ordnance Survey“, dem britischen Landvermessungsamt, ein ganzes Kapitel. Dieses Amt begann Ende des 18. Jahrhunderts mit der genauen Vermessung der britischen Inseln; doch als Großbritannien zu einem Weltreich aufstieg, konnte es dabei natürlich nicht bleiben.

Im folgenden Jahrhundert waren die britischen Landvermesser überall auf der Welt zu finden. Ihre Philosophie lautete: „Wenn es auf der Karte ist, dann existiert es.“ Nicht selten wurden die Vermesser bei ihrer Arbeit durch „Hitzschläge, Malaria und Tiger dahingerafft“, doch sie haben ihre Spuren hinterlassen.

So taufte der oberste Vermesser Colonel Andrew Waugh einen Berg in Nepal, der mal Deodhunga, Bhairavathan oder auch Chomolungma genannt wurde, nach seinem Amtsvorgänger, der den Berg wahrscheinlich nie gesehen hat: Mount Everest.

Die sagenumwobenen Marskanäle

Das „Reisefieber“ wohlhabender europäischer Touristen im 19. Jahrhundert führte zur Erfindung des Reiseführers – John Murrays „Handbook for Travellers“ in England und der beliebte „Baedeker“ aus Koblenz. Mit ihnen, meint Garfield, konnte man „auf Reisen gehen, ohne die Heimat zu verlassen.“

Mit der Jahrhundertwende verschwinden auch die letzten weißen Flecken von den Karten – und mit ihnen zahlreiche „Entdeckungen“, die gar keine waren, etwa die „Kong-Berge“ in Afrika, die nie existierten, oder 120 Inseln im Pazifik, die sich als pure Erfindungen herausstellten.

Angesichts der vermessenen Erde wandte man sich dem Himmel zu. 1877 glaubte der italienische Astronom Giovanni Schiaparelli auf der Oberfläche des Mars Linien-strukturen erkannt zu haben, die er „canali“ nannte und in einer Karte festhielt. Die sogenannten Marskanäle führten daraufhin zu immer neuen Spekulationen.

Manche Astronomen glaubten, die Kanäle auch sehen zu können, der Amerikaner Percival Lowell baute zu ihrer Beobachtung eigens ein Observatorium in Arizona. Mit dessen Teleskop wurde 1930 Pluto entdeckt, die Marskanäle regten hingegen vor allem die Fantasie an, so wie einst die unbekannten Regionen auf den alten Weltkarten. Gab es auf dem Mars Leben? Hatten Marsianer die Kanäle erbaut? Erst die amerikanische „Mariner“-Sonde enthüllte 1965, was viele vermutet hatten: Es gab keine Marskanäle, sie waren eine optische Täuschung.

„Selbstkartierung“

Auf der Erde löste das GPS die althergebrachte Navigation mit Karte und Kompass ab. Zunächst für militärische Zwecke ersonnen, baute man Satellitennavigationsgeräte bald in Schiffe, dann, als sie kleiner wurden, in Autos und schließlich in Handys ein. Diese Geräte erlauben es nicht nur, die eigene Position genau zu bestimmen, sondern auch selbst geortet zu werden.

Es ist ein wenig so, als wäre man selbst eine Figur, die erst durch das GPS auf der 1:1-Karte der Welt platziert wird. „Selbstkartierung“ nennt Garfield das. Und Google hat noch mehr vor: Man will nicht nur die Oberfläche, man will bald auch die Innenräume digital erfassen. Dann müssen wir wohl gar nicht mehr aus dem Haus gehen.

Wenn dieses Projekt allerdings abgeschlossen ist, was wird dann aus der alten Kunst der Kartografie? Deren verheißungsvolle Zukunft, glaubt Garfield, liegt im Videospiel. Schon Tolkien hatte seinen Lesern eine Karte von Mittelerde mit auf die Reise gegeben, und auch die Pen & Paper-Rollenspiele kalifornischer Hippies der Siebziger kannten Karten von Welten, die nur in ihrer Fantasie begehbar waren…

Die gänzlich reale Originalzeichnung der Schatzinsel, mit deren Hilfe Stevenson seinen Roman schrieb, ist übrigens verschollen.

Auf dem Weg zwischen einem schottischen Postamt und dem Londoner Verleger ging sie irgendwie verloren. Stevenson musste die Karte für den Druck nochmals zeichnen, so wie einst die ersten Kartografen: aus der Erinnerung und mithilfe eines Reisenden, der dabei gewesen war, seiner Romanfigur Jim Hawkins.

Video: Robert Louis Stevenson – Die Schatzinsel

Video: European Medieval Maps – Mapping the Medieval Mind HD

Quellen: PRAVDA TV/picture alliance/WeltOnline/Zumapress vom 02.04.2014

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