Thomas Hobbes: Leviathan (Video)

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Es ergibt sich, daß ohne eine einschränkende Macht der Zustand der Menschen ein solcher sei, wie er zuvor beschrieben wurde, nämlich ein Krieg aller gegen alle. Denn der Krieg dauert ja nicht etwa nur so lange wie faktische Feindseligkeiten, sondern so lange wie der Vorsatz herrscht, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Beim Krieg kommt es wie beim Wetter allein auf die Dauer an. Sowenig wie ein heftiger Regen schon nasses Wetter ist, wird irgendein einzelnes Gefecht Krieg genannt werden können. Die Zeit aber, in der kein Krieg herrscht, heißt Frieden.

Das Hobbes’ Opus Magnum mit dem Titel »Leviathan« gehört ohne Zweifel zu den herausragenden Werken in der Geschichte der politischen Theorie und liest sich wie eine Art Schablone für eine Alte-Neue Weltordnung. 1651 erschienen, markiert es den Beginn des typisch neuzeitlichen Verständnisses von Staat und Souveränität, als Fundament dient die Angst seine Bürger unnatürlich zu binden.

Ungeachtet dieses Bekanntheitsgrades soll zu Beginn der vorliegenden Betrachtung die Pointe der Hobbesschen Staatstheorie kurz rekapituliert werden, um sich dann der eigentlichen Frage zuzuwenden, die hier – im Rahmen der Symbolforschung – interessiert: Die Frage nämlich, weshalb Hobbes sein Werk nach dem biblischen Seeungeheuer Leviathan benannte, und weshalb er sich von diesem Leviathan auch noch ein Bild anfertigen liess. Bekannter noch als der Inhalt des Buches ist ja vielleicht sein Umschlag, beziehungsweise das Frontispiz, welches bereits die Erstausgabe von 1651 zierte.

Wer den Kupferstich für das Frontispiz ausgeführt hat, ist bis heute nicht restlos geklärt; auf jeden Fall aber hat Hobbes dem Künstler auf die Finger geschaut. Seit je erscheint also der Text in Begleitung des monströsen Leviathan. Wenn man davon ausgeht, dass Hobbes sowohl den Namen als auch die Gestalt dieses Wesens mit Bedacht gewählt hat, dann sollte eine Untersuchung des Leviathans zum Verständnis dessen beitragen, wofür er steht – also zum Verständnis des Staates, so wie ihn Hobbes konzipiert hat. Der Leviathan lässt sich im wörtlichen Sinne als Staats-Wesen verstehen, als das Wesen, welches den Staat verkörpert. Ein anatomisches Studium des Staats-Wesens Leviathan sollte folglich Aufschluss über die Verfasstheit des Staatswesens im politischen Sinne geben. Die Wissenschaft der Anatomie befasst sich mit Form, Aufbau und Struktur der Lebewesen. Und indem sie, um die Struktur zu verstehen, die Lebewesen zergliedert (lat. anatomia ›Zergliederung‹), gelangt sie von der blossen Form zur Funktion.

Ich werde im Folgenden zu zeigen versuchen, dass die Gestalt des Leviathans – beziehungsweise die Symbolik seiner äusseren Form – die zentralen Funktionen des Staates repräsentiert. In dieser Eigenschaft korrespondiert das Bild mit dem Text. Doch wie man sehen wird, ergänzt es diesen auch. Der Leviathan erfüllt nämlich zusätzliche Funktionen, welche jenseits der rationalen Argumentation des Textes liegen.

2. Staatstheorie

Für Hobbes ist der Staat, und überhaupt jede Form von geordneter Gemeinschaft und hierarchischer Gesellschaft, ein Artefakt, etwas vom Menschen Gemachtes, nichts von Natur Gegebenes. Was heute selbstverständlich klingen mag, stellt einen radikalen Bruch mit der antiken Tradition dar. So war etwa Aristoteles der Auffassung, dass der Staat zu den von Natur bestehenden Dingen gehört und dass der Mensch von Natur ein ›staatliches‹ Lebewesen – ein zoon politikon – sei.

Auch eine Hierarchie ist durch die Natur schon vorgegeben, denn wie Aristoteles un-schwer erkennt, gibt es einerseits Intelligente, die zum Denken und Lenken geboren sind, und anderseits Kräftige, die eher zum Schuften und Gehorchen taugen. Dass er sich selber wohl zu den ersteren zählen würde, wird von Hobbes denn auch zynisch kommentiert; die scheinbar objektiv konstatierte Ungleich- heit scheint Aristoteles durchaus zum eigenen Vorteil zu gereichen. Natürlich verdiente es Aristoteles eingehender – und vor allem positiver – gewürdigt zu werden. Doch weil es hier um Hobbes geht, soll mit ihm be-schlossen werden, dass die bisherigen Schriften der Moralphilosophen [zu denen auch Aristoteles zählt] zur Erkenntnis der Wahrheit nichts beigetragen haben.

Auf dieser Grundlage, die eben keine mehr ist, muss Hobbes die Theorie des politischen Zusammenlebens neu erfinden. Er muss noch einmal von vorne beginnen, und ›von vorne‹ heisst genau umgekehrt wie Aristoteles: also nicht mit dem politischen Gemein-wesen, in dessen natürliche Ordnung der Mensch immer schon eingebunden ist, sondern mit dem einzelnen Menschen, der erst zur staatlichen Gemeinschaft findet, indem er diese selbst entwirft und erschafft. So gedacht erscheint der Staat als Artefakt. Der Staat ist nicht die Vervollkommnung der Natur, sondern ihr Gegenbild. Der Staatszustand – und das führt geradewegs zum Kern der Hobbesschen Idee – unterscheidet sich explizit vom sogenannten Naturzustand. Die eigentliche Frage, um die Hobbes’ Werk kreist, ist daher die, wie die Menschen vom ungeordneten Naturzustand in einen Zustand geordneter Vergesellschaftung und Staatlichkeit gelangen.

Logischerweise müssen die Gründe für diesen Übergang in den Unzulänglichkeiten des Naturzustandes selbst zu fin- den sein. Um diesen zu beschreiben, entwirft Hobbes eine Art politische Anthropologie, die zeigen soll, wie sich die Menschen in Abwesenheit einer staatlichen Ordnung verhalten. Um es kurz zu machen: Sie verhalten sich tierisch. Hobbes’ berühmtes Diktum lautet homo homini lupus – der Mensch ist ein Wolf für den Menschen. Im Naturzustand ist jeder ein potentieller Feind eines jeden; es herrscht tendenziell ein Krieg aller gegen alle.

Dies nicht etwa deshalb, weil die Menschen böse oder schlecht wären, sondern weil sie im Grunde dazu genötigt sind. Da sie von Natur mit einem Trieb zur Selbsterhaltung und Nutzenmaximierung ausgestattet sind, können sie in einer Welt knapper Ressourcen gar nicht anders als in Konflikt geraten, schliesslich geht es um Sein oder Nicht-Sein. Um ihr natürliches Recht auf Selbsterhaltung zu wahren, haben sie gemäss Hobbes ein, wie er es nennt, Recht auf alles, das heisst sie müssen und dürfen alles tun und erstreben, was dem Zweck der Selbsterhaltung dienlich scheint.

In dieser kriegerischen Konkurrenzsituation können sich die Menschen auch nicht, wie im Aristotelischen Weltbild, auf eine Art prästabilisierte Ordnung verlassen. Eine solche kann es nicht geben, weil es keinerlei natürliche Hierarchie gibt. Hobbes ist ein ent-schiedener Vertreter der Menschengleichheit und zwar nicht nur einer metaphysischen Gleichheit vor Gott, sondern einer physischen Gleichheit im Diesseits. Auch die Intelligentesten und Stärksten können sich nie in Sicherheit wägen, denn was die Körperstärke betrifft, so ist der Schwächste stark genug, den Stärksten zu töten – entweder durch Hinterlist oder durch ein Bündnis mit anderen. Im Naturzustand lebt deshalb jeder ständig in Todesangst. Im 13. Kapitel des Leviathan bilanziert Hobbes diesen vorstaatlichen Zustand mit dem berühmten Satz: Das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz.

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Zum Glück, in dieser tierischen Situation, sind die Men- schen aber doch mit dem typisch menschlichen gesegnet: mit Vernunft und Sprache. Die Fähigkeit des rationalen Kalküls und der Verständigung ermöglicht es ihnen, den ekelhaften Naturzustand zu verlassen und durch Übereinkunft – durch einen Vertrag, der zum Vorteil aller ist – einen Staat zu begründen. Logisch funktioniert dies wie folgt.

Im Naturzustand sieht jeder ein, dass das Leben viel besser wäre, wenn die Menschen kooperieren würden, wenn also jeder auf sein Recht auf alles verzichten würde und sich mit so viel Freiheit und Gütern zufrieden geben würde, wie er auch den anderen zuge-stehen könnte. Hobbes formuliert hier eine Art Goldene Regel. Das Problem ist nur: Es wäre für jeden einzelnen noch vorteilhafter, wenn sich alle anderen dieser vernünftigen Kooperationsregel unterwerfen würden, nur er selber nicht. Der Naturzustand leidet am klassischen Trittbrettfahrerproblem. Unter dieser Bedingung muss jeder damit rechnen, dass sich der andere nicht an die eigentlich für alle vernünftigen Regeln hält. Und noch schlimmer: Wer ein redlicher Mensch sein will und die Regel befolgt, er aber der einzige sein sollte, der dies tut, ist das für ihn maximal nachteilig.

Diese knappe spieltheoretische Argumentation zeigt, dass der Naturzustand eine dilemmatische Struktur aufweist. Jeder weiss zwar, dass es einen besseren Zustand gäbe, und trotzdem ist es für jeden einzelnen nachteilig, den Natur- zustand zu verlassen – solange wie er nicht darauf zählen kann, dass ihm alle anderen ausnahmslos nachfolgen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma kann nur eine Zwangsgewalt schaffen, welche diejenigen bestraft, die gegen die vernünftigen Regeln der Kooperation verstossen. Kalkuliert man nämlich die Strafe mit ein, dann lohnt sich der Regelverstoss für niemanden mehr. Erst unter dieser Bedingung ist es für jeden einzelnen zweckrational, sich an die Goldene Regel zu halten. Er kann nun darauf zählen, dass sich alle anderen, aus Furcht vor Bestrafung, auch daran halten werden. Ein dem Naturzustand überlegenes Arrangement kann also herbeigeführt werden, indem jeder sein natürliches Recht auf alles aufgibt und sich in eine gemeinschaftliche Ordnung unter staatlicher Zwangsgewalt eingliedert.

Diesen Akt bezeichnet Hobbes metaphorisch als Vertragsschluss. Der Vertrag beinhaltet ein Doppeltes: Erstens gestehen sich die vertragsschliessenden Subjekte wechselseitig gleiche (eingeschränkte) Freiheiten zu, und zweitens autorisieren sie eine Gewalt, welche die Einhaltung dieser Kooperationsregel überwacht und sanktioniert. Diese Gewalt, welche über allen steht, ist der Staat – und diese Macht ist es, der Hobbes den Namen Leviathan gibt.

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Was Hobbes mit seiner Argumentation liefert, ist ein Staatsbeweis, eine rationale Begründung monopolisierter Zwangsgewalt. Er beweist, dass alle aus Eigeninteresse den staatlichen Zustand jedem anderen Zustand vorziehen. Es liegt in der individuellen Zweckrationalität jedes einzelnen, dass die Menschen gemeinsam den Staat erschaffen, falls er nicht schon existiert. Der Staat ist daher nichts Natürliches, sondern ein rationaler politischer Schöpfungsakt aus dem Nichts des Naturzustandes.

Mit diesem Ansatz konstruiert Hobbes den Staat ganz gemäss den Gesetzen wissenschaftlich-technischer Rationalität. Er erklärt ihn, indem er von der Funktion seiner kleinsten Teile, das heisst von der Anthropologie des Einzelmenschen, ausgeht. Tatsächlich bemüht Hobbes in seinem Traktat Vom Bürger explizit die Analogie zum Verständnis und zur Konstruktion einer Maschine: Schon bei einer Uhr, die sich selbst bewegt, und bei jeder etwas verwickelten Maschine kann man die Wirksamkeit der einzelnen Teile und Räder nicht verstehen, wenn sie nicht auseinandergenommen werden und die Materie, die Gestalt und die Bewegung jedes Teiles für sich betrachtet wird.

Um so mehr mag es erstaunen, dass Hobbes dem szientistischen Konstrukt des Staates den mythischen Namen Leviathan gibt. Und dass er vor die luzide Argumentation im Text ein rätselhaftes Bildnis dieses Leviathan setzt. Notwendig scheint das nicht zu sein, funktioniert doch die Begründung des Staates rein zweckrational auf argumentativem Wege. Wozu also der Leviathan? Wenn die Symbolik und die Rede vom Leviathan irgendeinen Sinn macht, dann weil sie die zweckrationale Begründung unterstützt und vielleicht sogar ergänzt. In den nächsten zwei Kapiteln möchte ich demonstrieren, wie das Monster Leviathan genau zu diesem Zweck erschaffen wurde. Am Schluss wird sich zeigen, dass der Name und das Bild etwas leisten, wozu der Text alleine nicht im Stande wäre.

3. Bildtheorie

Es ist dabei kein Fehler zu wissen, dass Hobbes höchst fasziniert war von optischen Phänomenen. In seiner Zeit im Pariser Exil hat er sich eine Sammlung an damals modernsten Fernrohren, Mikroskopen und Perspektivgläsern zugelegt; vgl. Bredekamp (2003), S.83–91. Nicht zuletzt sein Interesse an Teleskopen dürfte zuvor, auf seiner dritten Grand Tour durch Frankreich und Italien, zu einem Treffen mit Galileo Galilei in Florenz geführt haben; vgl. Martinich (1999), S.91. Hobbes war überzeugt, dass genaues Schauen zu richtiger Erkenntnis führt. Bei der Visualisierung seines Leviathans wird er also nichts dem Zufall überlassen haben.

Nähert man sich dem Monster vorsichtig an und betrachtet es genauer, ist das Auf-fälligste an seiner Anatomie, dass der Körper aus unzähligen einzelnen Menschen besteht (würde man sie zählen, käme man auf über 300). Die Symbolik ist hier eindeutig: Das Staatswesen – im eigentlichen wie im metaphorischen Sinne – besteht aus seinen Mitgliedern. Ohne die Bürger oder Untertanen, die sich zu ihm bekennen, die es aus-machen, wäre es körperlos, also in-existent. Indem sich die einzelnen Körper zu einem grossen Ganzen formieren, ist das Staats-Wesen zugleich mehr als die Summe seiner Teile. Was es ist, und weshalb es ist, lässt sich an den Insignien ablesen, die es in den Händen trägt: in der Rechten das Schwert, in der Linken den Bischofsstab. Sie symbolisieren die weltliche und die kirchliche Macht. Dass beide Mächte in derselben Gestalt vereinigt sind, dass beide Arme vom selben Kopf gesteuert werden, ist in Hobbes’ Logik konsistent. Das Dilemma des Naturzustandes kann schliesslich nur überwunden werden, wenn es einen einzigen Souverän und letzten Richter in allen Angelegenheiten gibt.

Diese einzige und absolute Macht steht schützend über Stadt und Land. Ihre spezifischen Herrschafts- und Schutzfunktionen werden in der unteren Hälfte des Bildes dargestellt. In der linken Spalte die Symbole und Aufgaben der weltlichen Herrschaft und in der rechten, jeweils korrespondierend, diejenigen der kirchlichen: Burg – Kirche, Krone – Mitra, Kanone – Exkommunikationsblitz, Kampfzeichen – Waffen der Logik, Schlacht – Disputation. Zusammengenommen verkörpert der Leviathan das, was auf dem Vorhang in der Mitte steht: The Matter, Forme, and Power of a Common- wealth Ecclesiasticall and Civil, d. h. Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates.

Auf dieses bildgewaltige Frontispitz folgen dann 500 Seiten Text, die weiteren Aufschluss über das Staats-Wesen Leviathan geben sollten. Auf den ersten Blick ist die Ausbeute jedoch dürftig, denn der Name Leviathan wird im ganzen Buch nur gerade drei Mal erwähnt. In der Einleitung sagt Hobbes, dass der Leviathan, den man gewöhnlich auch Staat oder Gemeinwesen nenne, nichts anderes sei als ein Automat, eine Maschine oder ein künstlicher Mensch. Hier wird in die bereits erwähnte rationalistisch-technische Methodik des Buches eingeführt, und der Staat wird als Artefakt ausgewiesen. Die Rede vom künstlichen Menschen meint allerdings noch mehr. Hobbes wird wegen seiner düsteren Naturzustands-Vision gerne als Pessimist gesehen. Ebenso ist er aber ein Zivilisations-Optimist, vertraut er doch darauf, dass der neuzeitliche Szientismus auch die sozialen und politischen Probleme zu lösen vermag. Gemäss dieser Methodik lässt sich ein Staat konstruieren, der – einer Maschine gleich – Frieden und Sicherheit produziert.

Diese Analogie zwischen Mensch, Staat und Maschine ist für Hobbes deshalb angebracht, weil er zwischen lebendem Organismus, gesellschaftlichem Körper und technischer Ma- schine keinen kategorialen Unterschied macht. Die scharfe Unterscheidung von ›Mechanismus‹, ›Organismus‹ und ›Kunstwerk‹ findet man in Hobbes’ moderner Philosophie des 17. Jahrhunderts gerade nicht.

Hobbes meint, man könne den menschlichen Organismus wie eine Maschine betrachten und verstehen; so wie dies knapp 100 Jahre später Julien Offray de La Mettrie in seinem Buch L’homme machine ausführen wird. Ebenso ist die Gesellschaft oder der Staat als ein Zusammenschluss von Menschen nichts anderes als eine riesige Maschine oder eben ein gewaltiger Organismus. Hobbes’ Bild des Leviathan verweist damit auch bereits auf die Idee des Staates als eines funktionalen Organismus, wie man sie beispielsweise im 19. Jahrhundert bei Herbert Spencer wieder findet.Hobbes nimmt den Maschinenmenschen und den Staatsorganismus vorweg, indem er den Leviathan, den Staat, einerseits als or- ganischen Mensch darstellt und anderseits als technische Maschine beschreibt.

Der Leviathan ist aber noch mehr als ein künstlicher Mensch und eine komplizierte Maschine. Er ist auch eine Art Gott. Im 17. Kapitel, wo Hobbes den eingangs beschrie- benen Vertragsschluss darstellt, heisst es, dieser Akt sei die Erzeugung jenes grossen Leviathan oder besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken. Die Formel des sterblichen Gottes ist ein Schlüssel zum Verständnis des Leviathans. Indem Hobbes den Leviathan einen Gott nennt, verleiht er ihm die Aura des Unantastbaren, des Allmächtigen. Er macht klar, dass man sich mit ihm nicht anlegen soll. Die Ausschliess- lichkeit und Unwiderstehlichkeit seiner Macht wird durch das Zitat aus dem Buch Hiob untermauert, beziehungsweise überschrieben, steht es doch als Titel über dem Frontispiz: non est potestas super terram quae comparetur ei.

Auf Erden gibt es also nichts und niemanden, der sich kräftemässig mit dem Leviathan messen könnte. Dieses Kriterium muss die staatlich monopolisierte Zwangsgewalt erfüllen, wenn sie dem kriegerischen Naturzustand ein Ende setzten will. Frieden ist ihr Zweck, Macht ihr Mittel. Im Streitfall muss das Schwert des Leviathans immer das letzte Wort haben, denn, wie Hobbes sagt, Verträge ohne das Schwert sind blosse Worte. Auf diese Funktion verweist auch die dritte Textstelle, in welcher der Leviathan namentlich erwähnt wird. Im 28. Kapitel beschreibt Hobbes den Leviathan als Richter, der straft oder belohnt.

Seine ultimative Macht erhebt den Leviathan über alle Menschen. Aber doch nicht ganz auf die Stufe von Gott. Im Gegensatz zum ›richtigen‹ Gott bleibt der Leviathan sterb- lich. Seine Sterblichkeit ist die Konsequenz seiner artifiziellen Natur. Der Leviathan wird von Menschen zu einem bestimmten Zweck geschaffen, nämlich den Frieden zu sichern. Erfüllt er diese Funktion nicht, oder nicht mehr, dann existiert er per definitionem auch nicht. Der Leviathan teilt damit das Schicksal jeder anderen Maschine: Was er taugt, wird am Output gemessen. Und er ist in dem Moment nutzlos und also gestorben, wo er nicht mehr zweckmässig funktioniert.

Zusammengefasst: Die Illustration auf dem Frontispiz nimmt genau die drei Charakterisierungen auf, die man mehr oder weniger explizit im Text findet: Mensch, Maschine, Gott. Der Leviathan hat Menschengestalt, und er wird von Menschen geformt. Die Darstellung seiner Funktionen zeigt an, dass er, einer Maschine gleich, die gesellschaftlichen Güter Ordnung und Frieden produziert.

Und seine Riesenhaftigkeit, die Art, wie er über das Land wacht und in den Himmel ragt, verleiht ihm die Aura eines Gottes. Die Gestalt des Leviathans korrespondiert so weit perfekt mit den Argumenten des Textes. Seine Symbolik fügt dem geschriebenen Wort jedoch noch etwas Entscheidendes hinzu.

4. Jenseits des Textes

Wenn man das Symbol ganz allgemein definiert als Repräsentation des Nicht-Gegenwärtigen, dann müsste man sich weiter fragen, was denn nicht-gegenwärtig sei. Worauf verweist der Leviathan? Was zeigt er uns an, das wir ohne ihn nicht sehen könnten?

Einfach gesagt ist es die Allgegenwart des Staates. Der Leviathan repräsentiert den Staat, auch wann und wo dieser scheinbar nicht gegenwärtig ist.

Es wurde eingangs dargelegt, wie bei Hobbes die Entstehung des Staates an den ganz bestimmten Moment des Vertragsschlusses gebunden ist. In diesem Moment rationaler Übereinkunft wird der Staat aus dem Nichts des Naturzustandes erschaffen. Um nun die Macht des Staates und die Gefolgschaft der Bürger sicherzustellen, muss dieser Moment rationaler Einsicht in die Notwendigkeit des Staates in die Zukunft hinein verlängert werden. Genau darauf hin arbeitet die Symbolik des Leviathans.

Das Frontispiz hält den entscheidenden Moment rationaler Übereinkunft fest und konserviert auf diese Weise die Pointe der ganzen Staatstheorie. Wenn man das Bild des Leviathans genauer betrachtet, sieht man, dass alle Menschen in seinem Körper vereinigt sind; das Dorf und die umliegende Landschaft sind menschenleer. Zudem schauen alle Bürger zum Kopf des Leviathans hoch. Die Darstellung ist eine Momentaufnahme des Vertragsschlusses: Sie zeigt die Übereinkunft aller Untertanen und die zeitgleiche Autorisierung einer einzigen Macht über ihnen.

Indem das Bild die Idee des Staates stets von neuem vergegenwärtigt, verhilft die Symbolik des Leviathans dem Argument des Textes zu einer Art »künstlichen Ewigkeit« und damit Allgegenwart.

Tatsächlich muss das Bild des schützenden und strafenden Staates dauerhaft präsent sein, damit die Bürger nach den Maximen gesellschaftlicher Rationalität und staatlicher Ge- setzlichkeit handeln. Die institutionelle Struktur des Staates ist nur dann handlungs-relevant, wenn man sich ihren Regeln nicht entziehen kann. Jeder Bürger wird zuweilen das Gefühl haben, dass es für ihn nützlicher wäre, ein Gesetz nicht zu befolgen. In solchen Situationen muss er sich die Zweckmässigkeit des Vertrages von neuem vergegenwärti- gen. Und vor allem muss ihm die Angst vor der Strafe bei Gesetzesbruch dauernd im Nacken sitzen.

Das Monster Leviathan und sein Name beschwören genau diese Angst. In Anlehnung an Max Weber könnte man sagen, dass der mythische Leviathan die »bindende« Kraft des rationalen Vertragsschlusses durch die »bannende« Kraft des Heiligen ergänzt. Wo immer die Figur des Leviathans in der Literatur auftaucht, trägt sie die Konnotation des Furchteinflössenden und Ungeheuerlichen. So wird das biblische Seeungeheuer Leviathan zuweilen als Walfisch, meist aber als Krokodil oder Drache beschrieben. Ausgehend von dieser Bedeutung finden sich in der frühen Neuzeit auch Quellen, wo der Name gewisser-massen säkularisiert verwendet wird, jedoch stets mit Angst und Schrecken verbunden ist.

Tatsächlich fungiert die Angst in der Hobbesschen Theorie – und wohl auch Biographie – als Leitmotiv. In seiner knappen, in lateinischen Versen abgefassten Autobiographie macht Hobbes die berühmt gewordene Aussage, dass seine Mutter in Anbetracht des befürchteten Angriffes der Spanischen Armada auf das Englische Königreich Zwillinge zur Welt gebracht habe: ihn und die Angst.

Die Angst und die damit einhergehende Risiko-Aversion der rational Handelnden kann sodann als Triebfeder zur Überwindung des Naturzustandes gesehen werden. Darüber hinaus scheint es nun aber so, dass der Angstzustand, in einer transformierten Form, auch im Staatszustand erhalten bleibt. In einer, man möchte sagen zivilisierten Form ist die Angst auch der Kitt des Staatswesens. Wenn Hobbes den Staat einen Leviathan nennt, dann deshalb, um die Angst vor dem Gesetz omnipräsent zu halten. Die blosse Symbolik des Leviathan ersetzt damit die unmittelbare Erfahrung des Staates.

Die Menschen werden nämlich nicht durch unmittelbare Erfahrung integriert, sondern vermittelt über eine Identifikation mit Symbolen.

Die Darstellung des Leviathan repräsentiert auch noch in einem weiteren Sinne das Nicht-Gegenwärtige des Staates. Wenn man sich nochmals der unteren Bildhälfte des Frontispizes zuwendet, sieht man dort eine Art Auflistung der einzelnen Staatsaufgaben. In der Erfahrung des Bürgers treten diese verschiedenen Funktionen jeweils separat und ungleichzeitig in Erscheinung. Aus heutiger Sicht gesprochen, tritt der Staat zum Beispiel in Form einer Steuererklärung oder in Gestalt eines Polizisten auf. Es braucht eine gedankliche Operation, um diese unterschiedlichen Phänomene ein und derselben Staatsgewalt zuzuschreiben. Und für diese Zuschreibung ist wiederum die Symbolik mitverantwortlich. Das Symbol des Staates verweist auf seine Gesamtheit, auch wenn er nur als Teil auftritt. Auch dort, wo nur die Kanonen oder die Richter auf den Plan treten, erkennt jeder sogleich den grossen Leviathan, der diese gesandt hat.

Abschliessend betrachtet, offenbart sich, dass die mythische Figur des Leviathans jenseits der rationalen Argumentation des Textes eine zentrale Aufgabe erfüllt. Das Symbol Leviathan erzeugt sowohl eine zeitliche Kontinuität als auch eine funktionale Superiorität. Beides ist für Hobbes’ politische Theorie essentiell, denn die Allmacht des Leviathan beruht letztlich darauf, dass niemand seinem Schwert entrinnen kann. Wo die beiden Kriterien der Dauerhaftigkeit und der Allmacht nicht erfüllt sind, stirbt nicht nur das Staats-Wesen Leviathan, sondern es verschwindet auch der Staat als politisch-soziale Tatsache.

Die Gestalt Leviathan ist deshalb mehr als ein Repräsentant des Staates. Wenn er nicht ist, ist auch das, was er repräsentiert, verloren. Ich komme deshalb zu einem für die Symbolforschung eher negativen Schluss: Thomas Hobbes Leviathan ist kein Symbol des Staates. Er ist der Staat. Ein Staat der Alten-Neuen Weltordnung.

Video: Thomas Hobbes 3 Minute Philosophy – Der unmündige Mensch, der einen König braucht…

Quellen: PRAVDA TV/Wikimedia/Thomas Hobbes/symbolforschung.ch vom 31.01.2014

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2 comments on “Thomas Hobbes: Leviathan (Video)

  1. natürlich ist das volk schuld.
    als schuldig zu verteufeln, doch karmisch währungssystemisch staatserbschuldbelastet.

    Der Leviathan lässt sich im wörtlichen Sinne als Staats-Wesen, ja aber der am tributzykelende zu kaputierenden nationen verstehen, als das Wesen, welches den Staat verkörpert.

    mythologisch abgeleitet von tiamat, seelenloses meerungeheuer symbolisierend tributpflichtig zu machende großgruppen menschlicher herdentiere, die in der roten ernte gottes abzuschöpfen sind. dazu bedarf es am währungszykelende = endzeitlicher drachentöterheldenfiguren oder erlöserbaalmessiasse, kommen ubiquitär vor.

    das erfordert zwecks ethischer begründung propagandistische verteufelung, daher staaten der nationen als monster verzeichnet.

  2. „Der unmündige Mensch, der einen König braucht…“

    Und genauso braucht der unmündige Mensch einen Gott – einen HERR-ischen, narzistischen, tyrannischen, alles bis ins Kleinste regelnden und befehlenden und strafenden Gott – den MANN-VATER-GOTT als den vermeintlichen großen Beschützer als der ER sich verkleidet.

    Meines Erachtens.

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