Geheimdienstverbrechen: Flüchtlingsfalle an der falschen Grenze zur Tschechoslowakei

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Sie wähnten sich in Freiheit – und landeten in Straflagern. Mit gefälschten Grenzübergängen lockte die tschechische Geheimpolizei in den vierziger und fünfziger Jahren Hunderte unliebsame Bürger in die Falle. Das Perfide daran: Viele von ihnen waren erst von verdeckten Agenten zur Flucht überredet worden.

Der vermeintliche US-Agent mit dem Decknamen „Johnny“ gab nicht auf. Immer wieder redete er auf Jan und Jirina Prosvic ein. Er könne das tschechische Ehepaar sicher über die Grenze nach West-Deutschland schleusen, versicherte er. Doch das war eine Lüge: „Johnny“ war kein amerikanischer Agent. Er hieß eigentlich Josef Janousek. Und sein Auftrag war nicht, die Prosvics über die Grenze zu bringen, sondern ins Gefängnis.

(Foto: Eigentliches Ziel – Fünfzig Kilometer östlich von der richtigen Grenze zwischen Böhmen und Bayern lag die vom tschechischen Geheimdienst errichtete falsche Grenze. Die Agenten der StB hatten sich mit der Kopie viel Mühe gegeben. Sie schufen eine überzeugende Kulisse mit scheinbar echten Schranken und Grenzhäuschen. Dieses Bild von 1948 zeigt echte deutsche Soldaten an der tatsächlichen Grenze bei der Kontrolle von Flüchtlingen, die den Fängen des StB entkommen waren)

Frühling 1948: Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei hatte mit dem Februar-Umsturz die politische Kontrolle übernommen und rechnete mit ihren politischen Gegnern ab. Dazu war ihr offensichtlich jedes Mittel recht. Inspiriert von den Methoden der Sowjets und der Nazis entwickelte der Geheimdienst Statni Bezpecnost (StB) eine heimtückische Finte: Die Operation „Grenzstein“.

StB-Agenten riefen gezielt bei unter Verdacht stehenden Oppositionellen an. Unter dem Vorwand, dass das Counter Intelligence Corps (CIC), ein Nachrichtendienst des US-Heeres, sie schickte, boten sie ihre Hilfe bei der Republikflucht an. Das Absurde daran: Viele der Verdächtigen gehörten gar nicht der Opposition an und mussten erst zur Flucht überredet werden. Hunderte fielen zwischen 1948 und 1951 auf die heimtückische Falle herein.

Überredet zur Flucht – in die Falle

Pavel Bret bezeichnet den Fall als „weißen Fleck“ in der Geschichte der Tschecho-slowakei. Bret ist Leiter der Abteilung für die Aufklärung kommunistischer Verbrechen im Prager Innenministerium. Die Abteilung beschäftigt sich schon seit mehr als einem Jahr mit der Aufarbeitung der Verbrechen des Geheimdienstes der KP, die auf 10.000 Aktenseiten detailliert dokumentiert sind. Seit kurzem laufen erstmals strafrechtliche Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Täter. Dabei wurde erstmals auch ein Schlaglicht auf die perfide Falle des StB geworfen.

Familie Prosvic zählte den Akten zufolge zu den ersten Opfern der tschechischen Stasi. Das Ehepaar war weder im Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft aktiv, noch wollten die beiden die Republik verlassen. Für Jan und Jirina Prosvic kamen der Auf-enthalt im Flüchtlingslager und ein Neuanfang im Exil wegen ihrer zwei Töchter nicht in Frage. Doch Janousek ließ nicht locker: „Weil ich wusste, dass ich viel Geld bekommen würde, habe ich versucht, sie zu überreden“, gab er später zu Protokoll.

Er beließ es nicht bei einfachen Überzeugungsversuchen: Die Prosvics erhielten anonyme Anrufe, die sie vor einer angeblich kurz bevorstehenden Verhaftung durch den StB warnten. Unter diesem Druck gab Jan Prosvic schließlich nach. Mit Frau und Kindern ließ er sich von Janousek nach Kdyne, einer kleinen Stadt nahe der Grenze fahren. Von dort aus begleitete ein Mittelsmann sie zur Grenze, nachdem Prosvic einen Abschlag gezahlt hatte.

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(Foto: Perfide Täuschung – Um unliebsame Bürger loszuwerden, lockte der tschechische Geheimdienst Statni Bezpecnost (StB) in den fünfziger Jahren Hunderte Tschechen in eine Falle. Ihnen wurde eine vermeintliche Flucht nach West-Deutschland angeboten oder aufgezwungen, die dann als Republikflucht geahndet wurde und im Straflager oder Gefängnis endete. Die Täuschung war ausgeklügelt: Hier interviewt ein als US-Amerikaner verkleideter StB-Agent den Tschechoslowaken Jaroslav Hakr. Das Foto diente laut einer Notiz auf der Rückseite des Bildes als Beweisstück vor Gericht)

Ein perfekt getarntes, falsches Grenzhäuschen

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Mehrmals hielten sie an Straßenblockaden, die sie ohne Probleme durchquerten. Die Prosvics waren beeindruckt von der Souveränität der Schleuser: „Er wusste immer genau, was er sagen musste“, gab Posvic später zu Protokoll. Inzwischen war es mitten in der Nacht und der StB-Agent führte sie durch den Wald zur vermeintlichen Grenze. Die echte lag 50 Kilometer weiter westlich.

Im vermeintlichen Grenzhäuschen empfing sie der sichtlich nervöse „US-Amerikaner“ Tony, der in Wahrheit eigentlich Amon Tomasoff hieß, mit Zigaretten von Westmarken wie Lucky Strike. Es gab auch Schweizer Schokolade. Das Büro, ausgestattet mit einer US-Flagge und Porträts der US-Präsidenten Roosevelt und Truman, bot eine täuschend echte Kulisse. Sogar eine Whiskey-Flasche hatte der Geheimdienst herbeigeschafft.

Trotzdem schöpfte Proscvic Verdacht, als Tomasoff ihn nach seiner Meinung zum Kommunismus und seinen Verbindungen zum Untergrund fragte und er zum Schluss einen Fragebogen – „Guestionaire“ – unterschreiben musste. Dennoch setzte Prosvic seinen Namen unter das Papier. Als er aufblickte, zog Tomasoff seinen Revolver, und sagte: „Wir haben kein Interesse an tschechischen Kommunisten!“ Der Grenzposten, der hilfsbereite „Johnny“, die anonymen Anrufe – alles Täuschung. Mit der Unterschrift hatte Prosvic sein Schicksal besiegelt: Den Richtern lag später mit dem unterschriebenen Fragebogen das unterzeichnete Geständnis eines Fluchtversuchs vor.

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(Foto: Spätes Misstrauen – Oldrich Malac wurde nach seinem provozierten Fluchtversuch zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Dem Juristen, der während des Zweiten Weltkriegs in den USA gelebt hatte, fiel das schlechte Englisch der ver-meintlichen Amerikaner in der Grenzstation sofort auf. Auch, dass die selbsterklärten Helfer eine tschechoslowakische Schreibmaschine benutzten, stimmte den erfahrenen Geheimdienstler misstrauisch. Oldrich Malac lehnte es deswegen ab, mit den Grenzbeamten zu kooperieren – trotzdem wurde er verhaftet)

Unabsichtlich Freunde und Familie verraten

Der Trick mit der falschen Grenze sei das Teuflischste, was ihm bei seiner Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen jemals untergekommen sei, sagt Kommissionsleiter Bret. Die Ermittlungen stieß der tschechische Historiker Igor Lukas an, nachdem er per Zufall eines der damaligen Opfer kennenlernte. Er begann zu recherchieren und ent-deckte, dass zwei der Täter noch lebten, „und zwar unter luxuriösen Bedingungen. Das ist so ein großer Kontrast zum Elend ihrer einstigen Opfer – deshalb habe ich Anzeige erstattet.“

Doch viele der Opfer trauen sich bis heute nicht, sich zu den Verbrechen zu äußern. Ausführlich beantworteten damals viele Flüchtlinge den Grenzbeamten alle Fragen und verrieten damit unabsichtlich Freunde und Familie. So wurden sie beispielsweise gefragt, wer aus ihrem Bekanntenkreis im Falle des Falles den US-Amerikanern beim Sturz des kommunistischen Regimes helfen würde. Die Flüchtlinge wähnten sich in der Annahme, sie täten den Genannten mit ihrer Auskunft etwas Gutes. Doch alle Menschen, die die Flüchtlinge aufzählten, wurden anschließend verfolgt, inhaftiert und verurteilt, bestätigt Bret.

Andere Opfer realisierten nie, was ihnen widerfahren war. Nachdem der Fragebogen unterschrieben war, schickten die getarnten StB-Agenten die Flüchtlinge weiter Richtung Westen: „Sie sind ja in einem freien Land, wir begleiten Sie jetzt nicht weiter. Gehen Sie 200 Meter in diese Richtung, da finden Sie ein Haus mit deutschen Polizisten, die helfen Ihnen dann weiter.“ Ein paar Meter kamen sie, dann nahm die tschechoslowakische Polizei die Flüchtlinge fest. Die meisten waren überzeugt davon, dass sie von deutschem Boden entführt worden waren.

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(Bild: Flüchtlingsfallen – Auf dieser Karte sind die fingierten Grenzposten in der Nähe der Stadt Asch in Westböhmen eingezeichnet)

Schwacher Protest aus dem Ausland

Die Ahnungslosigkeit der Opfer wurde noch in anderer Form missbraucht. Die ver-meintlich US-amerikanischen Grenzbeamten lehnten die Asylanträge mancher Flüchtlinge ab und übergaben sie direkt an die tschechoslowakische Polizei. Diese Nachricht sickerte dann aus den Gefängnissen nach draußen und erzielte den gewünschten Effekt: Resignation. Dass die USA scheinbar Flüchtlinge ablehnten, erstickte den letzten Funken Hoffnung auf Freiheit und Entkommen.

Weil die Operation „Grenzstein“ so gut funktionierte, errichtete der StB weitere fingierte Grenzen, ausgestattet mit Schranken und Schildern. Sie befanden sich in der Nähe von Cheb (Eger), Marianske Lazne (Marienbad), Svaty Kriz (seit 1960 Chodsky Ujezd, Heiligenkreuz) und Domazlice (Taus). Als die USA das herausfanden, protestierten sie offiziell gegen den Missbrauch US-amerikanischer Uniformen und Hoheitszeichen. Die tschechoslowakische Regierung wies den Vorwurf zurück. Sie behauptete zynisch, eine überaus eingehende Untersuchung hätte „nicht die geringste Spur oder den Verdacht für einen Missbrauch amerikanischer Hoheitszeichen oder von Bildern amerikanischer Staatsmänner“ gefunden.

Drei Jahre, von 1948 bis 1951, lief die Operation „Grenzstein“. Die Falle hatte nach Einschätzungen von Historikern fast 300 Gefängnisstrafen zu Folge. 16 Flüchtlinge wurden zum Tode verurteilt. Etliche nahmen sich das Leben.

Jan Prosvic wurde vom Gericht zu Zwangsarbeit verurteilt. Der Historiker Igor Lukas vermutet heute, dass die KPT es bei ihrer Aktion auf Prosvics Villa abgesehen hatte. Prosvic war erfolgreicher Geschäftsmann, bevor sein Besitz vom kommunistischen Regime verstaatlicht wurde. Der Familie blieb aber noch ihr Apartment in Prag und eine große Villa am Stadtrand. Nachdem der StB die Prosvics ins Gefängnis gelockt hatte, zog dort Antonin Zapotocky ein. Der Nutznießer der Verbrechens, eine Parteigröße der KPT, wurde 1953 Präsident der CSSR.

Quellen: PRAVDA TV/PublicDomain/ABSCR.CZ/einestages.spiegel.de vom 01.11.2013

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