Grün und blau – Polizeigewalt: „Vertrauen gleich null“

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Nie hatte sich Josef Eder etwas zuschulden kommen lassen, doch am 15. November 2010 prügelte ihn ein zehnköpfiges Einsatzteam der Polizei krankenhausreif – zusammen mit seiner Frau, der Tochter und dem Schwiegersohn Anton Brandmaier.

Polizisten waren im bayerischen Pfaffenhofen auf der Suche nach einem früheren Mieter der Familie Eder. Als Eders Tochter an ihrer Wohnungstür die Beamten in Zivil um die Dienstausweise bat, wurden diese grob. Sie zerrten die Frau in den Flur und schlugen auf sie ein. Genauso erging es Josef Eder, selbst ein ehemaliger Polizeibeamter, und anderen hinzugeeilten Familienmitgliedern.

Erst als Eders Frau einen Nervenzusammenbruch erlitt, riefen die Beamten einen Rettungswagen. Bei Eder wurden ein Bauchtrauma und Prellungen diagnostiziert, der Körper seines Schwiegersohnes war mit Blutergüssen übersät. Die Familie erstattete Anzeige, stimmte am Ende aber dem Vorschlag des Richters zu, das Verfahren einzu-stellen. Josef Eder, 68, und Anton Brandmaier, 38, diskutieren mit Rainer Wendt, 56, dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft.

DIE ZEIT: In Bremen prügeln Polizisten einen Discobesucher, in Rosenheim schlägt der Polizeichef einen Teenager mit dem Kopf gegen die Wand, in Berlin schießen und schlagen Polizisten einen Mann tot. Muss man sich vor der deutschen Polizei neuerdings fürchten, Herr Wendt?

Rainer Wendt: Man braucht sich vor der Polizei nicht zu fürchten. Die Deutschen tun das auch gar nicht – ganz im Gegenteil: Die Menschen vertrauen der Polizei. Das zeigen die Umfragen.

Josef Eder: Mein Vertrauen in die Polizei liegt bei null. Das sage ich, obwohl ich 27 Jahre lang Polizist war. Meine Meinung hat sich geändert, seit mich Polizisten in meinem Haus so lange gewürgt haben, bis ich ohnmächtig war, seit Polizisten meine Frau mit einem Diensthund bedroht und auf einem Auge blind geschlagen haben.

ZEIT: Hat die Polizei ein Gewaltproblem?

Wendt: Kein strukturelles. Was wir haben, sind Einzelfälle, bei denen einzelne Beamte ausrasten.

Eder: Wir sind ein solcher Einzelfall, einer von vielen. Wir wurden grundlos in unserem Haus überfallen, unsere Frauen geschlagen, Beweismittel vernichtet. Halten Sie so ein Vorgehen für verhältnismäßig?

Wendt: Sonst wäre es ja nicht rechtmäßig gewesen, wie die Staatsanwaltschaft fes-tgestellt hat. Das sind unabhängige Beamte, die neutral ermitteln und dann sagen: Jawohl, das war als Polizeieinsatz in Ordnung – oder eben auch nicht. Zum Glück fallen die Entscheidungen, ob Polizisten im Einzelfall rechtswidrig gehandelt haben, nicht in Internetabstimmungen, nicht in der Vorstandssitzung von Amnesty International, sondern eben bei der Staatsanwaltschaft und in Gerichten. Ich kenne keine bessere Instanz, über Recht in Deutschland zu befinden, als die Justiz.

ZEIT: Fehlt Ihnen da nicht ein wenig das Einfühlungsvermögen für Herrn Eder und seinen Schwiegersohn?

Wendt: Juristisch wurde festgestellt, dass sich die Kollegen im Falle des Herrn Eder nicht falsch verhalten haben. Dann kann ich mich für meine Kollegen auch nicht entschuldigen. Die Folgen für ihn und seine Familie freilich tun mir leid.

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Anton Brandmaier: Diese Rechtsstaatlichkeit, die Sie so loben, gibt es bei Polizeigewalt doch nur auf dem Papier. Die Praxis sieht anders aus. Da ermitteln Staatsanwälte, die in ihrer Arbeit immer auf Polizisten angewiesen sind, mithilfe von Polizisten gegen Polizisten. Ich frage Sie: Wie soll da ein faires Verfahren herauskommen?

Wendt: Die Staatsanwälte entscheiden nicht alleine, es gibt Gerichte und mehrere Instanzen. Und was machen wir dann mit einem solchen Fall, der durch mehrere Instanzen geprüft und schließlich eingestellt wurde? In der Öffentlichkeit heißt es dennoch: rechtswidrige brutale Polizeigewalt. So kann man mit justiziablen Entscheidungen nicht umgehen. Die muss man akzeptieren.

Brandmaier: Als Opfer von Polizeigewalt hat man in der Praxis keine Chance, zu seinem Recht zu kommen. Wer sich juristisch gegen das Unrecht wehrt, handelt sich eine Anzeige ein. Einen fünfstelligen Betrag haben uns die Anwälte gekostet. Den Polizisten dagegen ist nichts passiert. Gewaltexzesse der Polizei bleiben für die Beamten fast immer folgenlos.

„Korpsgeist gibt es, aber keine Kumpanei“

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Wendt: Die Verschwörungstheorie ist: weil die alle unter einer Decke stecken, die Polizei und die Staatsanwaltschaft. Richtig ist: Von den sechs Millionen ganz normalen Straf-anzeigen werden etwas mehr als 80 Prozent eingestellt. Das relativiert die Zahl bei den Polizisten. Bei 260.000 Polizisten, die am Tag hunderttausendfach einschreiten, gibt es 2.500 Strafanzeigen gegen Polizisten – das ist nicht viel. Und wäre uns denn wohler, wenn Tausende Polizisten im Jahr wegen Gewaltexzessen verurteilt würden?

Eder: Mir wäre wohler, wenn die schwarzen Schafe verurteilt würden, statt von ihren Kollegen gedeckt zu werden. Sie ruinieren Ihr Image, weil Sie die Schläger auf Teufel komm raus decken. Nur wenn es nicht mehr anders geht, wenn ein Video auftaucht, dann wird gehandelt. Wo ist die anständige Masse in der Polizei, die sagt: So können wir nicht weitermachen!

ZEIT: Gibt es in der Polizei einen Korpsgeist, stimmt es, dass Beamte Beamte decken?

Wendt: Korpsgeist gibt es, aber keine Kumpanei. Jeder Beamte, der falsch aussagt oder seine Kollegen schützt, begeht selbst eine schwere Straftat und muss damit rechnen, aus dem Dienst entfernt zu werden. Gerade weil Polizisten in dieser besonderen Vertrauens-position sind, wissen sie, dass sie – zu Recht – eine unverhältnismäßig hohe Strafe erwartet. Das ist nicht mal schnell mit einer Geldstrafe erledigt, sondern eine existenzielle Bedrohung. Der Beamte verliert sämtliche Pensionsansprüche, es wird schwierig, einen Job zu bekommen. Jeder Polizist weiß das ganz genau.

Eder: Das ist die Theorie. In meiner Zeit als Polizist hat man noch Angst gehabt, sich falsch zu verhalten, weil man wusste, man wird disziplinarisch und strafrechtlich belangt. Heute ist das genau gegenteilig, heute wird viel mehr provoziert. Ich kenne viele junge Polizeibeamte, die sich um die Vorschriften nicht kümmern. Die können das, weil sie die Unterstützung ihrer Kollegen, der Polizeiführung, der Justiz und der Politik haben – und auch Ihre Unterstützung, Herr Wendt.

Brandmaier: Sie wissen auch, dass es Beamte gibt, die auffällig oft Bürger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte anzeigen. Aber es wird nichts gegen sie unternommen. Man muss mal überlegen, was das für Auswirkungen hat: Man wird verletzt. Man hat Dauerschäden, wie bei meiner Frau, bei meiner Schwiegermutter; man hat finanzielle Belastungen, die Lebensqualität leidet, die Lebensfreude. Da ist alles zerstört. Wenn da eine Familie nicht zusammensteht, geht man baden. Wir wissen von Selbstmorden, weil Polizeiopfer nicht mehr weiterwussten, unter dem wahnsinnigen Druck von Polizei und Staatsanwaltschaft.

ZEIT: Haben Sie den Eindruck, dass die Polizei mit Gewalttätern in ihren Reihen richtig umgeht?

Wendt: Da haben wir ein Problem. Wir sind nicht ausreichend in der Lage, in den Dienststellen diese Einzelfälle richtig aufzuarbeiten. Wir müssten sagen können, wie es dazu kommen konnte, dass sich dieser Beamte unerkannt so entwickeln konnte, dass er zum Schluss ausgerastet ist.

ZEIT: Warum gelingt das nicht?

Wendt: Der Arbeitsdruck und die Bedingungen innerhalb der Polizei, keine Fehler zu machen, sind stark verschärft worden. Dadurch ist der Druck auf die Beamten dermaßen groß, dass wiederum die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt.

ZEIT: Aber diese hohen Maßstäbe müssten doch auch in Ihrem Interesse sein?

Wendt: Natürlich. Deshalb bin ich auch sehr damit einverstanden, dass sich die Polizei der Frage stellt: Wie gehen wir mit den festgestellten Fällen rechtswidriger Polizeigewalt um? Und zwar nicht nur damit, wie wir strafrechtliche und disziplinarische Konsequenzen für den einzelnen Beamten ziehen, sondern wie der gesamte Apparat reagiert.

ZEIT: Was hält Sie auf?

Wendt: Es geschieht ja zunehmend. Aber Sie müssen auch die Praxis sehen: Die Bereit-schaftspolizei beispielsweise jagt von einem Einsatz zum anderen, Fußballrocker, Salafisten, Rechts-/Links-Demo, das ist deren Wochenprogramm! Früher, als es noch eine andere personelle Situation gab, konnten die Kollegen Einsätze besser reflektieren als heute – und aus Fehlern lernen.

ZEIT: Hat die Polizei heute zu wenig Personal, um Gewalttäter in den eigenen Reihen zu verhindern?

Wendt: In den neunziger Jahren hat es den Trend gegeben, die Polizei wie ein Wirt-schaftsunternehmen zu betrachten. Wir haben Qualitätsmanagement bekommen, Produktmanagement und all diesen Unfug. Wir haben nur mehr so viel Personal, dass die Einsätze abgearbeitet werden können. Mehr brauchen wir nicht, haben die Unter-nehmensberater gesagt. Falsch! Wir brauchen auch Personal, um nach Einsätzen zu reflektieren, wenn Polizeibeamte sich im Einzelfall falsch verhalten haben. An dieser Stelle haben Polizei und auch die Justiz ein Defizit. Dieses Defizit heißt Personal.

Brandmaier: Aber Personalmangel kann ja nicht der Grund sein, warum prügelnde Polizisten meist ungeschoren davonkommen.

Wendt: Wir zeigen Fehlverhalten an, wir klären auf. Nehmen Sie den Einsatz Stuttgart 21, den „schwarzen Donnerstag“. Da ist bislang ein Polizeibeamter verurteilt worden. Wissen Sie, wer den angezeigt hat?

Brandmaier: Ein Anwalt?

Wendt: Nein, die Polizei. Die Polizei hat auf ihren eigenen Videoaufnahmen entdeckt, dass sich dieser Beamte falsch verhalten hat. Der Beamte ist daraufhin verurteilt worden. So gehen wir mit diesen Fällen um. Weil wir so hohe Vertrauenswerte in der Bevölke-rung haben, haben wir selbst ein Interesse daran, dass die Dinge aufgeklärt werden. Wir wollen nicht, dass irgendjemand einen Filmschnipsel abliefert und alle Welt sagt: Die Polizei prügelt in Bremen.

„Jeder Polizist steht da in der Öffentlichkeit“

ZEIT: Bremen ist das aktuelle Beispiel, aber auch aus anderen Städten gelangen immer wieder Amateurvideos von gewaltsamen Polizeieinsätzen an die Öffentlichkeit. Können Sie verstehen, dass manche Bürger da die Wut packt?

Wendt: Ich kann verstehen, dass sich die Menschen Sorgen machen. Aber ich verstehe nicht, wie mit solchen Videos umgegangen wird. Oft handelt es sich um von anonymen Personen zusammengeschnittene Szenen, mit dem eindeutigen Ziel, die Polizei schlecht aussehen zu lassen. Die Realität ist oft eine ganz andere.

Eder: Vielleicht ist es Ihnen auch unangenehm, dass es nun dank der Smartphones diese Videos gibt. In unserem Fall haben Polizisten meiner Frau die Kamera entrissen und die Aufnahmen gelöscht.

Wendt: Die Polizei hat heute ein viel größeres Bewusstsein für den Rechtsstaat als früher. Jeder Betroffene hat ein Handy in der Tasche und filmt die Polizei. Das ist bei jeder Demonstration so. Jeder Polizist steht da in der Öffentlichkeit.

ZEIT: Wäre es in Ihrer Generation, Herr Eder, denkbar gewesen, dass ein Kollege so zuschlägt, wie es Ihnen widerfahren ist?

Eder: Ich habe es in meiner Dienstzeit nie erlebt. Selbstverständlich haben wir auch mal hinlangen müssen, wenn es zum Angriff kam, keine Frage. Aber dass wir so exzessiv prügeln, wäre unmöglich gewesen.

Wendt: Die Zahl der Vorwürfe gegen die Polizei ist seit Jahrzehnten konstant.

ZEIT: Zuletzt sind auch wieder zwei Videos aus Berlin aufgetaucht, auf denen man sehen kann, dass Streifenpolizisten relativ schnell zur Schusswaffe gegriffen haben. Hätten sie nicht zuerst andere, mildere Mittel einsetzen müssen?

Wendt: Beim Einsatz gegen Messerangriffe stehen wir vor dem Problem, den Schläger einerseits auf Distanz halten zu müssen, andererseits aber auch in seinen Nahbereich zu gelangen, um ihn zu fassen – ohne uns selbst zu gefährden. Wir haben auf eine Distanz von sieben Metern nur die Schusswaffe. Die ist häufig tödlich.

ZEIT: Brauchen Streifenpolizisten Elektroschockgeräte als Alternative zur Pistole?

Wendt: Das ist in meiner Gewerkschaft sehr umstritten. Es gibt Kollegen, die sagen, es reicht, wenn wir Elektroschocker bei den Spezialeinheiten haben. Es gibt auch andere – und diese Position kann ich besser verstehen –, die sagen, wir müssen endlich die Lücke zwischen dem Nahkampf und der Schusswaffe schließen.

ZEIT: Warum haben Sie diese Geräte nicht?

Wendt: Wir haben die Innenminister dringend aufgefordert, uns eine Distanzwaffe zu geben. Die Politiker sagen, wir erproben das. So geht das seit Jahren. In Wahrheit weigern sie sich, uns die Elektroschocker zu geben. Im Ergebnis haben wir die Neunmillimeter.

ZEIT: Was antworten Sie Ihren Kindern auf die Frage, was sie tun sollen, wenn sie Opfer von Polizeigewalt werden?

Wendt: Ich würde meinen Kindern das empfehlen, was ich jedem empfehle: ganz normal Anzeige zu erstatten und der Staatsanwaltschaft die Ermittlungen anzuvertrauen.

Brandmaier: Ich würde auch sagen: Erstatte Anzeige. Und dass ich hoffe, dann Millionär zu sein, damit wir das dann auch gemeinsam durchstehen können. Ich habe kein Vertrauen mehr in die Arbeit der Staatsanwaltschaft.

ZEIT: Würden Sie sich früh um Beweissicherung kümmern?

Brandmaier: Brandmaier: Es hat nichts geholfen. Wir hatten unabhängige Zeugen. Wir hatten Bilder. Es wurde alles gelöscht. Es hilft nicht viel. Sie sitzen als Opfer einem Block gegenüber.

ZEIT: Und Sie, Herr Eder?

Eder: Wenn ich noch mal jung wäre, würde ich meinen Kindern sagen: Abstand zur Polizei. Wenn irgendwo eine Kontrolle ist, schaut nicht, geht einfach weiter. Und solltet ihr in die Verlegenheit kommen, dass ihr kontrolliert werdet, fragt nach dem Namen. Lasst euch den Ausweis zeigen. Habt ihr im Auto eine Kamera oder ein Handy dabei, nehmt alles auf, auch den Ton. Verwahrt die Aufnahmen nicht in der Wohnung oder im Haus. Und wenn ihr Opfer von Polizeigewalt werdet, dann sucht euch einen Anwalt. Und hofft. Das sagt ein ehemaliger Polizeibeamter nach 27 Dienstjahren.

Quelle: zeit.de vom 21.07.2013

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15 comments on “Grün und blau – Polizeigewalt: „Vertrauen gleich null“

  1. Ich möchte keine Entschuldigung für die Schlägerattacken liefern. Ich arbeite mit Polizisten und weiss daher, das in Berlin die Polizei umstrukturiert wurde. Die Dienstzeiten der Berliner Polizei sind für den Haupteil der Beschäftigten, die im Streifendienst arbeiten nach meinem Ermessen ( z.B. jeden Tag eine andere Schicht; kaum Wochenende frei; keine feste Zuteilung der Einsatzgebiete – d.h. jeder macht alles) unsozial und krankheitsfördernd. Zusätzlich wurde Personal abgebaut. Was ich damit ausdrücken mag, ist…., das auch dort die Verhältnisse sich radikal zum schlechten verändert haben und diese ebenfalls darunter seelich leiden. Und zumindestens in einigen Fällen kann man davon ausgehen, das in extremen Situationen auch unüberlegte Affekthandlungen entstehen. Irgendwo müssen Anspannungen sich entladen. Und bei ungesunder Bewältigungsstrategie wird sich das unweigerlich in Gewalt anschließend ausdrücken. LG

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