Als Sphärenharmonie oder Sphärenmusik (nach altgriechisch σφαίρα sphaíra Kugel) bezeichnet man die aus der griechischen Antike stammende Vorstellung, dass bei den Bewegungen der Himmelskörper und der sie tragenden durchsichtigen Kugeln (Sphären) Töne entstehen, deren Höhe von ihren Abständen und Geschwindigkeiten abhängt.
Titelbild: Erde und Venus bilden eine harmonische Struktur
Die Töne ergeben einen harmonischen Zusammenklang (griechisch symphōnía), der jedoch für die Menschen normalerweise nicht hörbar ist. Diese Idee stammt von Pythagoras von Samos oder seinen Anhängern, den Pythagoreern, und bildet ein wesentliches Element der pythagoreischen Kosmologie. Dahinter stand die Überzeugung, dass der Kosmos eine durch mathematische Proportionen optimal geordnete Ganzheit sei und dass sich daher in der Astronomie dieselben Gesetzmäßigkeiten zeigen wie in der Musik.
In übertragenem Sinn wird der Begriff „Sphärenmusik“ heute auch für die Übertragung von Proportionen aus der Astrophysik in musikalische Beziehungen verwendet.
Nach einem kurzen Abriß der Geschichte der Sphärenharmonie wird im folgenden erläutert, was unter diesem Begriff aus heutiger Sicht zu verstehen ist. Es werden die Kriterien aufgeführt, die eine Prüfung ermöglichen, ob vermeintliche harmonische Verhältnisse am Himmel tatsächlich etwas Besonderes darstellen. Schließlich wird aufgezeigt, in welchen Parametern der Planetenbahnen eine sehr exakte Über-einstimmung mit musikalischen Intervallen zu finden ist.
Die Vorstellung, daß die Ordnung im Kosmos von Zahlen und musikalischen Harmonien bestimmt ist, gehört zu den ältesten Mythen der Menschheit. So heißt es in einem chinesischen Text aus dem 3. Jhdt. v. Chr. (“Frühling und Herbst” des Lü Bu We) beispielsweise:
“Das, woraus alle Wesen entstehen und ihren Ursprung haben, ist das große Eine; wodurch sie sich bilden und vollenden, ist die Zweiheit des Dunkeln und Lichten. Sobald die Keime sich zu regen beginnen, gerinnen sie zu einer Form. Die körperliche Gestalt ist innerhalb der Welt des Raumes, und alles Räumliche hat einen Laut. Der Ton entsteht aus der Harmonie. Die Harmonie entsteht aus der Übereinstimmung.”
Die große Entdeckung der Pythagoreer war dann, daß die am konsonantesten emp-fundenen Intervalle einfachen Zahlenverhältnissen entsprechen (chronologisch ist diese Entdeckung früher anzusetzen, Pythagoras von Samos lebte von ca. 580 – 496 v. Chr.). So erklingt bei der Teilung einer Saite im Verhältnis 2:1 die Oktave, im Verhältnis 3:2 die Quinte, 4:3 die Quarte usw. Hieraus erwuchs die Überzeugung, daß diese Proportionen auch in den Abständen oder Bewegungsverhältnissen der Planeten wiederzufinden sein müßten. Die pythagoreischen Gedanken, die von Platon mit bestimmten Zahlen ausge-schmückt worden sind, wurden durch das ganze Mittelalter weitgehend für gültig er-achtet. Aus einer rein intuitiven Vorstellung war damit eine Idee geworden, die zumindestens prinzipiell durch den Verstand nachprüfbar ist.
Doch erst die Auffindung der Planetengesetze durch Johannes Kepler Anfang des 17. Jahrhunderts ermöglichte es ihm, die Bewegungen der Planeten sehr viel genauer zu berechnen als es jemals zuvor möglich gewesen war. Damit konnte er die alten Modelle von einer Sphärenharmonie einer kritischen Überprüfung unterziehen. Nachdem er viele andere Möglichkeiten untersucht und verworfen hatte, glaubte Kepler, in den Winkel-geschwindigkeiten (in anderen Worten: den Winkeln, die die Planeten in einer gleichen Zeiteinheit von der Sonne aus gesehen bilden) eine sehr gute Übereinstimmung zwischen den Verhältnissen im Sonnensystem und musikalischen Intervallen gefunden zu haben. Für Kepler war es des weiteren selbstverständlich, daß die Musik der Sphären zum einen nur im Geiste des Betrachters ertönt, zum anderen ein Ausdruck des Schöpfers ist.
Es sind also die Himmelsbewegungen nichts anderes als eine fortwährende mehr-stimmige Musik (durch den Verstand, nicht das Ohr faßbar), eine Musik, die durch dissonierende Spannungen, gleichsam durch Synkopen und Kadenzen hindurch (wie sie die Menschen in Nachahmung jener natürlichen Dissonanzen anwenden) auf bestimmte, vorgezeichnete, je sechsgliedrige (gleichsam sechsstimmige) Klauseln lossteuert und dadurch im unermeßlichen Ablauf der Zeit unterscheidende Merkmale setzt. Es ist daher nicht mehr verwunderlich, daß der Mensch, der Nachahmer seines Schöpfers, endlich die Kunst des mehrstimmigen Gesanges, die den Alten unbekannt war, entdeckt hat.
Aus wissenschaftlicher Sicht wird Kepler als Entdecker der Planetengesetze höchste Achtung entgegengebracht, seine Ideen zur Sphärenmusik allerdings nicht weiter ernst genommen. Im 20. Jahrhundert wurden von verschiedenen Autoren andere Parameter als die Winkelgeschwindigkeiten herangezogen, in welchen die Sphärenharmonie zu finden sein soll (Hans Kayser: in den Logarithmen der mittleren Sonnenabstände, Thomas Michael Schmidt: in den Differenzen der synodischen Umlaufzeiten, Cousto: in den aus den Umlaufzeiten gebildeten Frequenzen).
Zusammenfassend kann man sagen, daß die Harmonie der Sphären eine rein geistige Idee geworden ist. Die Himmelsharmonien – wenn sie mehr als bloße Phantasie darstellen sollten – müßten zudem in meß- oder berechenbaren planetarischen Proportionen nachzuweisen sein. Zwar gibt es einige Berichterstatter, die meinten oder meinen, kosmische Klänge gehört zu haben, dem normalen Menschen werden solche Erlebnisse jedoch immer unüberprüfbar bleiben. Somit fragt sich also, wie gut die Übereinstimmung der unterschiedlichen Vorstellungen mit den planetarischen Verhältnissen denn tatsächlich ist.
Auch Johannes Kepler hatte nicht behauptet, daß die von ihm aufgefundenen Harmonien den musikalischen vollkommen entsprechen. Zu der aufgeworfenen Frage läßt sich nur mit den Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung eine echte Aussage treffen (die zur Zeit Keplers noch unbekannt war). Auch in den Größen einer zufälligen Verteilung (die beispielsweise die Umlaufzeiten simulieren), wie sie von einem Zufallsgenerator erzeugt werden könnten, würden immer einige der daraus zu bildenden Verhältnisse musikalischen Intervallen nahe kommen.
Vermeintliche Harmonien wären jedoch nur dann etwas Besonderes, wenn sie signifikant – wie der Statistiker sagt -, also bedeutsam, von einer zufälligen Verteilung abweichen.
Video: Signatur der Sphären (Trailer)
Hierauf an dieser Stelle näher einzugehen, würde allerdings den Rahmen sprengen. Die folgenden Graphiken zeigen aber auch ohne weitere Berechnungen die Notwendigkeit einer solchen Vorgehensweise auf. Dargestellt werden zunächst die Frequenzen, die sich aus den Umlaufzeiten der Planeten ergeben (die genaue Erläuterung des hierzu führenden Verfahrens findet sich in: Die Signatur der Sphären, Seite 63; kurz gesagt werden die Kehrwerte der Umlaufzeiten (in sec) solange mit 2 multipliziert, bis sie den Frequenzen musikalischer Töne entsprechen):