Kehrseite der Finanzmärkte

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»Occupy-Camp« in Frankfurt am Main bietet Roma-Flüchtlingen aus Osteuropa Unterschlupf. Stadtverwaltung wird Versagen vorgeworfen.

Die 20jährige Arabella sitzt im Frankfurter Occupy-Camp vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main vor ihrem Zelt und blinzelt in die Sonne. In wenigen Tagen wird sie ihr Baby bekommen. Neben ihr stillt ihre Freundin ihr drei Wochen altes Kind. Die jungen Frauen lachen und plaudern. Was auf den ersten Blick wie ein entspannter Campingurlaub wirkt, ist alles andere: Die beiden Roma haben es für einen Moment geschafft, ihre Sorgen zu vergessen. Vor einigen Monaten sind sie aus Rumänien in die deutsche Finanzmetropole gekommen, um hier eine Zukunfts-perspektive zu finden.

In Rumänien hätten sie keine Chance gehabt, Arbeit oder eine Wohnung zu finden, sagt Arabella, die bereits Deutsch spricht – wenn auch gebrochen. Doch bislang hat auch hierzulande nichts geklappt. Bei Regen und Kälte sei ihr nichts anderes übriggeblieben, als im Zelt zu hocken und auf bessere Zeiten zu hoffen. »Ich sammle Flaschen und gebe sie im Laden ab, das ergibt drei Euro am Tag«, sagt sie.

Sobald sie das Zeltlager vor der EZB verläßt, werde sie in den Straßen des Bahnhofs-viertels als Zigeuner beschimpft. Daß es nach der Geburt ihres Kindes nicht einfacher werden wird, kann sie bei ihrer Freundin sehen. Ratloses Schulterzucken: »Sie hat kein Geld, um für ihr Baby Pampers zu kaufen. Die einzigen, die uns helfen, sind die Leute vom Occupy-Camp.«

Seit Monaten wisse das Sozialamt der Stadt Frankfurt von dieser Situation, mehrfach sei er mit beiden Frauen dort gewesen. »Aber Roma werden bei Behörden immer nur abgewiesen«, sagt der im Förderverein Roma engagierte Immobilienhändler Novak Petrovic. Der Frau mit dem drei Wochen alten Baby habe das Amt eine Erstausstattung versprochen, bis heute habe sie nichts erhalten. Statt dessen drohe Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU), das Camp polizeilich räumen zu lassen.

Dabei versuchten die Aktivisten doch nur, Aufgaben zu erfüllen, die die Stadt vernachlässige – und zwar unabhängig von der Nationalität. Die Verwaltung überlasse Obdachlose und Suchtkranke ihrem Schicksal; »Unterlassene Hilfeleistung«, sieht Petrovic darin. In einer Erklärung des Fördervereins heißt es: Die Anwesenheit der Roma stelle »den Protest des Frankfurter Camps vom Kopf auf die Füße«. Im wichtigsten Finanzzentrum Europas würden Verantwortliche auf internationaler und kommunaler Ebene »mit der nackten Konsequenz ihrer Politik konfrontiert«.

Mit ordnungspolitischen Maßnahmen und Vertreibung sei der extremen Armut nicht beizukommen. Die Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld ( CDU) müsse sich fragen lassen, »wieso ihre Behörde versagt«. Auch jW hatte letztere bereits Anfang Juni mit dem Fall einer hochschwangeren notleidenden Roma konfrontiert, die im Occupy-Camp im Zelt lebte.

Doch statt zu den konkreten Vorwürfen einer Sozialarbeiterin – Untätigkeit der Behörde und rassistischer Umgang mit Roma – Stellung zu nehmen, hatte die Fachbereichsleiterin Soziales, Karin Kühn, nur Allgemeinplätze verkündet und Datenschutz vorgeschoben. Petrovic sagte am Donnerstag gegenüber jW, er habe sogar ein Haus besorgen können, in dem die Roma kostenlos leben könnten. Doch die Stadt weigere sich, Kosten für Strom und Wasser zu übernehmen.

Entsetzt reagiert der Förderverein auf die rassistische Begleitkampagne zu den Räumungsabsichten. Vornweg Bild: Unter dem Titel »Occupy! Rumänen übernehmen das Camp« hetzte das Blatt: »Jeden Tag stehen Frankfurter und Touristen kopfschüttelnd vorm Occupy-Verhau am Euro-Zeichen. Statt politischer Parolen hört man fluchende Rumäninnen. Statt fröhlicher Lieder klingen Schnapsflaschen.«

Während das Düsseldorfer Occupy-Camp der Kapitalismuskritiker am Mittwoch geräumt wurde, ist über die Zukunft des Camps das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Aktivisten haben beim Frankfurter Verwaltungsgericht einen Eilantrag gegen die Räumung eingereicht. Mit einer Entscheidung ist vor Montag nachmittag nicht zu rechnen.

Der neue Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) hatte den Ordnungs-dezernenten gemahnt, die Gerichtsentscheidung abzuwarten. Die Aktivisten fordern ein Mediationsverfahren, an dem auch Feldmann teilnehmen solle, um über die durch Occupy sichtbar gewordenen sozialen Probleme zu diskutieren. Dazu gehören die menschenwürdige Unterbringung der Roma, sowie Angebote für die Obdach-, Erwerbslosen und Suchtkranken. Als Mediatoren schlägt Occupy den Direktor des Instituts für Wirtschaft- und Sozialethik der Marburger Uni, Wolfgang Nethöfel, und den Richter Harald Walther vor.

Quellen: dapd/jungewelt.de vom 06.08.2012

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